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Projekt Moses/Moritz Berlein
Der Advokat Berlein zu Rotenburg bittet um Bestallung zum Anwalt in Kassel bzw. Gestattung der Advokatur daselbst


Kurfürstliches Justizministerium!

Die Vorfälle in Rotenburg, insbesondere die stattgehabten Judenverfolgungen sind kurfürstlichem Justizministerium bekannt. Sie wurden auch von einem meiner Kollegen dazu benutzt, der Masse einleuchten zu machen, als werde durch meine Anwesenheit der Wucher der Juden gefördert, während ich doch notorisch nur wenige jüdische Clienten habe und dem Gerichte meine Handlungsweise genugsam bekannt ist. Gleichwohl wird meine Entfernung als Desiderium durchgesetzt.
Daneben haben dann auch meine Kollegen Müller und Fürer bei kurfürstlichem Justizministerium sich über meine Bestellung nach Rotenburg beschwert, indem sie darin eine Beeinträchtigung ihres Einkommens finden.
Aber auch persönlicher Gefahr bin ich in Rotenburg preisgegeben, indem durch Zorn Geleitete schon wiederholt Versuche gemacht wurden, Geld von mir zu erpressen, sogar mit geladenem Feuergewehr.
Inwiefern ich nur den geringsten Anlaß zu allem dem gegeben, darüber berufe ich mich auf das Zeugnis der Justizämter und sonstiger Behörden.
Einleuchten muß es aber, daß mir das fernere Verbleiben an einem Orte unerträglich ist, wo täglich die rohesten Ausbrüche des Judenhasses zu gewärtigen sind, selbst wenn sich auch die jetzige Aufregung gelegt haben sollte und so mir die feindliche Gesinnung der Kollegen das Leben vergällt, meine Stellung im geselligen Leben verkümmert.
Gern will ich ihnen das Feld räumen, wozu mir jetzt durch den Abgang der Anwälte Hartwig und Rösing zu Kassel mir geeignete Gelegenheit geboten ist. Nur hier würde es mir möglich sein, den Unterhalt für mich und meine Familie aufzubringen, und auch Kassel der einzige Ort ist, an welchem ich eine ausgebreitete Bekanntschaft unter dem Bürgerstande habe und auf Beschäftigung rechnen kann, ohne dabei die Rivalität meiner Kollegen befürchten zu müssen, mit deren großen Mehrzahl ich in freundlichem Verhältnisse stehe.

Sollte die bevorstehende Umgestaltung der Rechtspflege die Bestallung neuer Obergerichtsanwälte bedenklich erscheinen lassen, so begnüge ich mich gern mit der Gestattung der Advokatur bei den dasigen Untergerichten mit dem Wohnort daselbst.

Ich habe die feste Überzeugung, daß kurfürstliches Justizministerium mich gern einer so unerträglichen Lage, die ich in keiner Weise verschuldet habe, entziehen wird und bitte sehr untertänigst:
meine Bestallung zum Obergerichtsanwalt in Kassel zu veranlassen
oder
die Advokatur auch bei den Untergerichten in Kassel mit dem Wohnsitz daselbst mir zu gestatten
und beharre

kurfürstlichen Ministeriums untertänigster

(gez)  Berlein

Kassel, den 3. Mai 1848

(Unterstreichungen im - handschriftlichen - Original)


Quelle: Staatsarchiv Marburg, Bestand 250/JustizMinisterium, Nr.1038