Als Anfang wurden Jenny und ich in die Strickschule geschickt. Frisch gebadet, sauber gekämmt, mit den Sabbat-Druckzeugkleidern angetan, zogen wir beide mit einem Gefühl von Feierlichkeit und Stolz in die große, christliche Schule. Vor Hebamme Borneller machten wir einen Knicks und gaben ihr die Hand ganz zaghaft, denn sie war Respektsperson und für uns Kinder von geheimnisvollem Reiz umgeben. Sehr sauber und vornehm sah sie uns aus in der kleidsamen, bäuerlichen Tracht, rosig von Gesicht, mit freundlichen, aber ernsten Augen und sauber gescheitelten weißen Haaren. Sie nahm uns bei der Hand und führte uns auf eine Schulbank ganz in ihrer Nähe, lächelte uns ermunternd zu und sah nach unserm Strickzeug. Aber wir fühlten uns scheu und unsicher unter etwa 50 Mädchen von 6-14 Jahren, die alle mit dem Strickzeug bewaffnet dasaßen. Kein Wort wurde gesprochen, es war Totenstille, nur die Stricknadeln hörte man. Nach und nach atmeten wir etwas freier in diesem großen Schulsaal, in dem nie ein jüdisches Kind zuvor gesessen hatte. Als wir uns ein wenig erholt hatten, ging auch das Stricken leichter, unsere Hände zitterten nicht mehr. Da ertönte durch die Stille, die nur noch durch die klappernden Nadeln unterbrochen war, plötzlich eine sehr laute Stimme und rief: "Borneller, es stinkt, es stinkt." Borneller tat, als hörte sie nichts. Da schrie die ganze Mädchenschar zusammen: "Borneller, das harn die Judde getan, das ham die Judde getan." - Weder wir, noch irgend sonst ein jüdisches Mädchen ging je wieder in die Strickschule. [...]