Schön sind die langen Freitagabende im Winter. Aber sind die Abende schön und lang, sind die Tage umso kürzer und arbeitsreicher. Wir müssen tüchtig und flink Reiser zum Feueranmachen brechen, weil man's ja am Sabbat nicht tun darf, Holz hinter den Ofen tragen, zehn Paar Schuhe putzen. Die älteren Geschwister müssen viel Wasser herbeischleppen, das ganze Haus und alle Stuben schrubben. Mutter muß für zwei Tage kochen, eines von uns muß dabei mithelfen, ein anderes die Wege springen. Schließlich ist um vier Uhr alles fertig. Dann laufen wir zum Bach und waschen uns, so kalt es auch ist, wir werden gekämmt und ziehen alle unsere Schabbeskleider an. "Hoffentlich habt ihr nicht vergessen, den Rosinenwein zu kochen, abzukühlen und auf den Tisch neben den feinen, selbstgebackenen Barches, der unter dem Deckchen liegt, zu stellen, damit Vater den Segen darüber spricht."
Mutter entzündet die Lichter, sie bedeckt die Augen, spricht den Segen über das Licht, dankt Gott, der uns den Sabbat gegeben hat. Dann setzt Mutter sich auf den Sessel, auf dem sonst niemand sitzen darf. Sie hebt ihr Kleid und zeigt uns ängstlich die angeschwollenen Beine. Ach wie froh ist sie, daß wieder eine Arbeitswoche vorüber ist. Dann treten wir einzeln an Mutters Sessel, beugen uns nieder, legen den Kopf auf ihren Schoß und werden von ihr gesegnet. Sie spricht den Segen leise, und ihre Hände ruhen auf unseren Köpfen. Paula stellt noch rasch einige blühende Blumen auf den weißgedeckten Tisch und zieht die weißen Gardinen zu. So, jetzt können Vater und die Brüder aus der Synagoge kommen. Ah, da sind sie schon. Man schaut noch rasch mal aus dem Fenster auf die Leute, die aus der Synagoge heimgehen, ob nicht vielleicht ein Fremder dabei ist, vielleicht ein Reisender oder auf Besuch weilend, ein früherer Schüler unseres Vaters, oder wenn's auch ein Bettler wäre, jedenfalls was Neues in unserem engen Gesichtsfeld. Einen Bettler zu Gast haben, das möchte jeder gern. Man fragt sie aus nach Neuem in der Welt. Aber damit ist heute nichts.