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Projekt Moses Brandes

Meine Mutter betrachtet unterdessen prüfend und mit Wohlgefallen alle die sauberen, frischgewaschenen Kindergesichter, lächelt zufrieden; Freudentränen, richtig dicke große Tränen rollen ihr das Gesicht hinab. Das ist Mutters Heerschau. Sie ist hier General, ein stolzer Sieger. Ruhmvoll hat sie die Schlachten der Arbeit geschlagen, die Körbe voll Wäsche geflickt, für die Kinder all die Kleider gemacht, sie mit wenigem ernährt, sie alle acht großgezogen und, was sie stets mit Nachdruck erwähnt, "sie alle zwölf gesund geboren mit graden Gliedern." Sie darf zufrieden sein, und sie ist's. [...]

  
"Mutter von 12 Kindern, reich bedacht mit Körper u. Geistesgaben, beglückend durch die heitere Ruhe ihres Wissens, durch Sanftmut u. klaren Verstand."
Mit diesem Text würdigten die Brandes-Kinder ihre Mutter auf dem elterlichen Grabstein in Oberaula.
In dem Kapitel "Frauen in Familie und Öffentlichkeit" zitiert M. Richarz den rechts abgedruckten Text von Johanna Brandes-Harris als kennzeichnende Beschreibung der Rolle jüdischer Lehrersfrauen in der wilhelminischen Zeit:
"Auf dem Lande waren es vor allem die höchst bescheiden lebenden Familien der Lehrer, die sich gegenüber den jüdischen Händlern des Dorfes als Gebildete verstanden. Ihre Ehefrauen mußten nur mit Hilfe der Kinder den Haushalt bewältigen, bis sie beim Sabbatessen am Freitagabend erschöpft zur Ruhe kamen und stolz ihre Kinder betrachteten." ( Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit, Band III, S. 77).