Abends kommt oft heimlich der befreundete christliche Lehrer zu Besuch, was der Pfarrer nicht erfahren darf.
Ein langer Schatten von einem Mann bückt sich in der Tür, damit er nicht anstößt, kommt herein, reicht schweigsam meinen Eltern die Hand und setzt sich schweigend aufs Sofa, auf denselben Platz, den er schon viele Jahre lang zur gleichen Stunde einnimmt. [...]
Er sieht meinen Vater an, der wartet geduldig, dann kommt's: "Sagt mal Moses, hast du schon die 'Preußische Lehrerzeitung' von dieser Woche gelesen, die ich dir schickte?" Ganz leise und vorsichtig war das gesagt worden. Moses aber, mein Vater, war nun einmal ein unverbesserlich aufgeregtes Männchen und schleuderte dem Verdutzten ohne Übergänge die Worte ins Gesicht: "Hast du gelesen, was Bismarck schon wieder gegen uns Volksschullehrer ausgeheckt hat? Die Zulage ist abgelehnt." Da springt aber Gutfreund in jähem Entsetzen in die Höhe, packt meinen Vater am Kragen und sagt leise: "Um Gottes willen, was schreist du denn so, Moses, du redest dich noch um Kopf und Kragen. Haben die Wände nicht Ohren?" Dabei deutete er mit den Händen aufs Pfarrhaus hinüber. Aufgeregt springt mein Vater ans Fenster, zieht die Vorhänge dichter zusammen, blickt nach oben, um zu sehen, ob die Fenster fest schließen, springt wieder zur Sofaecke, wo Gutfreund in der hintersten Ecke des Zimmers recht weit vom Fenster entfernt sitzt, nimmt Gutfreund am Kinn und sagt aufgeregt, aber leise zu ihm: "Du, ich sag dir, die Sozialdemokraten haben recht, aber man darf's ja nicht sagen; absägen müßte man den Kerl Bismarck!" Gutfreund würde niemals auf so etwas ein Wort erwidert haben, aber ein sehr behagliches Schmunzeln, langes, tiefes Grunzen, Rülpsen und merkwürdige Töne tief aus seiner dürren Brust verraten dem Eingeweihten seine Zustimmung.