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Projekt Moses Brandes

Außer Gutfreund besaß mein Vater keinen Freund im Dorf und verkehrte mit nie­mandem. Seine Juden sind ihm viel zu ungebildet. Der Viehhandel trägt nicht zur Ver­feinerung bei. Es ist kein schönes Geschäft, sie können einem schon leid tun. Hörst du, wie Nachbar Justus seine Ochsen verhandelt, so stehen dir die Haare zu Berge. Justus hat die Ochsen von Geburt an großgezogen. Er liebt sie, nach seinen eigenen Worten, wie die leiblichen Kinder. [...]

Sie also, seine starken Ochsen, sie mußte er verkaufen, die Tüchtigen mußten sich schlachten lassen, damit die verruchten Städter, die zu faul, zu schwach zur Feldarbeit graphicgraphicwaren, sich an ihrem Fleisch gütlich tun konnten. An den Stadtleuten konnte er seine Wut nicht auslassen, aber an dem elenden Juden, der sie kaufte und fortführte. Ach, er brauchte das Geld, um so manches, vor allem den geliebten Schnaps anzuschaffen, den der verdammte Wirt - "schlimmer als ein Judd" - nicht ohne bares Geld hergab. Und was das allerschlimmste war, er hatte auf diesen Handel hin, schon den ganzen Sommer über, sein Geld beim Judd geliehen, so daß er gar soviel nicht einmal bekam. Wohl an die zehn Mal verjagte er ihn mit den gemeinsten, nicht wiederzugebenden Schimpfwor­ten von seinem Hofe. Er trank sich Mut und Wut an, wenn er ihn nur kommen sah, um ihn noch roher verfluchen und beleidigen zu können; wußte er doch, er würde schon wiederkommen. Der Handelsjude kannte seine wahren Gefühle, er war nicht zimperlich, er kam wieder, so lange, bis Justus dringend das restliche Geld brauchte und bis er die Ochsen mitnehmen konnte.

Und so wie bei Justus war es bei den meisten Bauern. Das Feld war karg und steinig, die Ernte oft nicht ausreichend, um die große Familie zu ernähren, bares Geld brauchte man auch für das, was der Bauer nicht ziehen kann, wie Zucker, Reis, Stoff zum Sonn­tagsanzug, Schuhe, und vor allem für den Schnaps, den der Bauer bei der harten Arbeit nicht missen mochte. Das Geld borgte er beim Juden. Gewiß, er handelt mit ihm, be­kommt auch etwas bares Geld heraus, hat aber an Kirchensteuern, Schulsteuern und von dem, was er noch von der Übernahme des Gütchens her an Bruder und Schwester abzugeben hat, viele Schulden, so daß er unweigerlich an den Juden gebunden ist. Ausgedehnte Viehzucht war unmöglich. Das Vieh konnte nicht immer auf die Weide geschickt werden, weil es im Winter bei Schnee und Eis nicht draußen sein konnte, nicht einmal die Schafe - auch sie mußten im Stall überwintern. Den kurzen Sommer über mußte das Vieh, Ochsen wie Kühe, den Pflug ziehen, die Wagen heimbringen, kurz sie halfen das Feld bestellen. Wenn Kühe schwer arbeiten, ist die Milcherzeugung gering und wird von der starken Bauernfamilie, die selten Fleisch ißt, aufgebraucht. Dem Juden schiebt der Bauer all seine Sorgen, sein Unglück in die Schuhe. Kommt dann der liebe Sonntag, wo er beim frommen Gesang in der Kirche seine Not für kurze Zeit vergessen möchte, so hört er hier wieder, wie die Juden seinen Heiland und Erlö­ser gekreuzigt haben. Der Pfarrer, der auch nicht weiß, was er immer den dummen Bauern sagen soll, stellt diese Kreuzigung so schaurig, so blutrünstig dar, wie nur irgend möglich, als wäre es erst gestern gewesen. Der Bauer denkt: "So werde ich auch täglich gekreuzigt", und seine Abneigung schwillt zum Haß. Nicht der magere Boden, die Sau­ferei, nicht die große Familie, nein, der Jude ist an allem schuld.

Ob nun der Jude öfters den betrunkenen Bauern hineinlegte, wer kann das sagen. Wo es Menschen hier auf diesem Erdball gibt, da sind es zwei Sorten, redliche und unredli­che, gute und schlechte Menschen. Einheitlich gute oder einheitlich schlechte gibt's ja nicht. Und dann war dem Bauern, wenn er nicht aus noch ein wußte, oft der Jude, der ihm Geld lieh, in seiner Not lieber als der Schwarzrock des Pfarrers auf der Kanzel, zu dem er nicht gehen und borgen konnte, oder der elende Faulenzer, der Lehrer. Für sol­che Leute mußte er Geld hergeben, für einen Lehrer, der die Kinder in der unnützen Schule zurückhielt, wo er sie dringend zur Feldarbeit gebraucht hätte. [...]

  

"Dem Juden schiebt der Bauer all seine Sorgen, sein Unglück in die Schuhe. Kommt dann der liebe Sonntag, wo er beim frommen Gesang in der Kirche seine Not für kurze Zeit vergessen möchte, so hört er hier wieder, wie die Juden seinen Heiland und Erlö­ser gekreuzigt haben." (Johanna Brandes-Harris)
Tonfiguren, die den angeblich  betrügerischen jüdischen Viehhändler bloßstellen sollen. (Ende 19. Jahrh.)