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Projekt: Prof. Dr. Med. Moritz Katzenstein
(Albert Einstein)
"Nachruf auf den ehrenhaften M. Katzenstein"
In den 18 Jahren, die ich in Berlin verlebte, standen mir wenige Männer freundschaftlich nahe, am nächsten Prof. Katzenstein. Über 10 Jahre lang verbrachte ich die Erholungszeit der Sommermonate mit ihm, meist auf seinem graziösen Segelschiff. Was wir erlebten, erstrebten, erfühlten, wurde da ausgetauscht. Beide empfanden wir es, dass diese Freundschaft nicht nur dadurch beseligend war, dass einer den andern verstand, von ihm bereichert wurde und in ihm die jedem wirklich Lebenden so unentbehrliche Resonanz fand; diese Freundschaft trug auch dazu bei, uns beide gegen das Erleben von aussen unabhängiger zu machen, es leichter zu objektivieren.
Während ich ein freier Mensch war, weder durch viele Pflichten noch aufregende Verantwortung gebunden, steckte er unablässig in der Zange drängender Pflichten und fürsorglicher Furcht um das Schicksal bedrohter Menschen. Wenn er - was stets der Fall war - am Morgen einige gefährliche Operationen ausgeführt hatte, erkundigte er sich durch telefonischen Anruf, unmittelbar bevor wir aufs Schiff gingen, noch nach dem Befinden einiger Patienten, die ihm Sorgen machten; ich merkte, wie nahe ihm die Schicksale gingen, die ihm anvertraut waren. Wunderbar war es, dass seine Seele bei dieser Gebundenheit des äusseren Daseins nicht ihre Flügel einbüsste; seine Phantasie und sein Humor liessen sich nicht unterkriegen. Nie wurde er zu dem Typus des norddeutschen Pflichtmenschen, den die Italiener in den Zeiten ihrer Freiheit als „bestia seriosa“ bezeichneten. Wie ein Jüngling war er empfänglich für die herbe Schönheit der Märkischen Seen und Wälder, und in solcher geliebter und vertrauter Umgebung das Schiff mit großer Sicherheit dahinsteuernd öffnete er vor mir sein geheimes Schatzkästlein - er sprach von seinen Experimenten, wissenschaftlichen Ideen und Zielen. Wie er Zeit und Kraft dafür übrig hatte, blieb mir immer rätselhaft; aber die Leidenschaft des Forschens lässt sich durch keine Belastung unterkriegen. Eher als sie erliegt der Mensch, der von ihr besessen ist.
Zweierlei Probleme waren es, auf die er eingestellt war. So ersann er immer neue Wege, um gesund gebliebene Muskeln heranzuziehen als Ersatz für verloren gegangene zur Herstellung kunstvoller Verbindungsbänder. Dies fiel ihm merkwürdig leicht, da er eine ungewöhnlich starke räumliche Vorstellungskraft und ein merkwürdig sicheres mechanisches Gefühl besass. Wie freute er sich, wenn er so einen Menschen durch Korrigieren der Gesichts-, Fuss- oder Arm-Muskulatur zum nomalen Leben tauglich gemacht hatte. Ebenso die Vermeidung von Operationen, sogar bei Fällen, die ihm vom inneren Mediziner zum Operieren gesandt wurden (bei Magengeschwür durch Neutralisieren des Pepsins). Auch auf die Behandlung der Bauchfellentzündung durch ein von ihm gefundenes antitoxisches Koli-Serum hielt er sehr viel und freute sich sehr über die Erfolge, die er damit erzielte. Wenn er davon erzählte, bedauerte er oft, dass diese Methode von seinen Kollegen nicht akzeptiert wurde.
Die zweite Problemgruppe bezog sich auf die allgemeine Konzeption von einem Antagonismus der Gewebe-Arten. Hier glaubte er einem recht allgemeinen biologischen Prinzip auf der Spur zu sein, dessen Konsequenzen er mit bewundernswerter Kühnheit und Hartnäckigkeit verfolgte. Von diesem Grundgedanken ausgehend entdeckte er, dass Knochenmark und Knochenhaut einander am Wachstum verhindern, wenn sie nicht durch Knochen voneinander getrennt sind. Es gelang ihm so, bisher unerklärliche Fälle des Ausbleibens von Wund-Heilungen aufzuklären und die Heilung herbeizuführen.
Diesem allgemeinen Gedanken vom Antagonismus der Gewebe, speziell vom Epithel und Bindegewebe, galt in erster Linie die wissenschaftliche Arbeit des letzten Jahrzehnts seines Lebens. Tierexperiment und systematische Untersuchung des Gewebe-Wachstums in Nährflüssigkeit wurden in Verbindung miteinander durchgeführt. Ich durfte die Entwicklungsphasen dieser eminent spannenden Experimentalarbeit mit ihm erleben. Wie dankbar war er dem Schicksal, dass er, dem durch Pflichten die Hände gebunden waren, in Frl. Knake einen hervorragenden und der Sache unbegrenzt ergebenen Mitarbeiter zu finden. Er durfte noch wunderbare Resultate ernten über die Faktoren, welche das Epithel-Wachstum zu Ungunsten des Wachstums des Bindegewebes entscheidend begünstigen, Resultate, welche für die Krebsforschung wohl von definitiver Bedeutung sein dürften. Er hatte auch noch die Freude, seinen eigenen Sohn zu verständnisvoller selbständiger Mitarbeit anzuregen und bei Sauerbruch warmes Interesse und Förderung gerade in seiner letzten Lebenszeit zu finden, so dass er beim sterben das tröstliche Bewusstsein haben durfte, dass sein Lebenswerk nicht verloren gehe, sondern in seinem Sinne energisch fortgesetzt werden würde.
Ich aber bin dem Schicksal dankbar, dass ich diesen gütigen, unermüdlichen Manne von hoher schöpferischer Begabung zum Freund hatte.
 
Vollständiger Text des Nachrufs von Albert Einstein auf Moritz Katzenstein
  
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