"Zurück nach Frankfurt. Das Leben in den Jahren 1937, 1938 und 1939 war dort sehr schwer. Die deutschen Vorschriften zur Rationierung der Lebensmittel hinderten die jüdischen Familien daran, viele wichtige Dinge wie Fleisch, Fisch, Eier, Milch etc. zu kaufen. Wir hatten ein sehr treues und fürsorgliches Dienstmädchen, für das es schließlich zu gefährlich war, uns nachts mit den Hauptnahrungsmitteln, die wir brauchten, zu versorgen. Trotz ihrer Tränen musste das Ende ihrer Besuche, bei denen sie die Hauptnahrungsmittel mitbrachte, beschlossen werden. Wiederum, die Angst, unter der alle litten, war das Schlimmste.
Ein Vorfall, der unserer Familie große Sorge machte, war die Anweisung, dass an einem bestimmten Samstag alle Juden in ihren Wohnungen sein mussten, damit die Gestapo eine Haus-zu-Haus-Durchsuchung nach Waffen machen konnte. Juden war es nicht erlaubt, irgendwelche Waffen zu besitzen.  Da erinnerte sich mein Großvater daran, dass er noch die alten langen Messer ganz oben in den Bücherschränken gelagert hatte.
Er hatte diese Messer benutzt, wenn er das Amt eines Schächters ausgeübt hatte. (Ein Schochet bzw. Schächter ist eine Person, die gemäß der jüdischen Religion Tiere auf eine schmerzfreie Art schlachtet, um sie koscher zu machen.) Diese Messer hätte man leicht als Waffen einstufen können und es herrsche große Angst in unserer Familie. Es wurde zunächst überlegt (so berichtete mir mein Bruder), dass er mit dem Fahrrad an den Main fahren solle, um sie dort hineinzuwerfen. Aber da es eine Ausgehsperre gab und Juden nach 9 Uhr abends nicht auf den Straßen sein durften, wurde dies als zu riskant verworfen. Das Kellergeschoss  unseres Wohnhauses hatte einen Fußbodenbelag aus Fliesen und die Familie beschloss, die Messer in unser Schließfach zu bringen, sie in Stücke zu zerbrechen und nach dem Wegnehmen einer der Fliesen sollten die einzelnen Stücke in dem Matsch unter dem Stein vergraben werden.
Die nächste Hausdurchsuchung war von den üblichen rassistischen Beleidigungen begleitet und verlief ohne besondere Ereignisse. Aber zwei Wochen später klopfte es an unserer Tür und zwei Gestapoleute verlangten, ins Kellergeschoss geführt zu werden. Sie ließen uns dann genau die Fliese hochheben, die wir vorher dazu benutzt hatten, die Messer zu vergraben. Obwohl nur zwei Wochen seitdem vergangen waren, hatten die Messer Rost angesetzt. Die Gestapo ging weg, ohne uns ein Problem zu bereiten.
Wir nahmen an, dass einer der nichtjüdischen Mieter in dem Gebäude unsere Begräbnisaktivität mitbekommen und uns gemeldet hatte. Am Ende dieser Episode ließ sich ein Seufzer der Erleichterung unserer Familie vernehmen.

 
Baruch Rosenstein, Ilses Großvater, hatte als jüdischer Lehrer auch das Amt eines Schochets ausgeübt, das Schlachten von Tieren nach religionsgesetzlichen Vorgaben, das sog. Schächten.