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Projekt: Hans Löwenberg
Gegenstände von religiöser Bedeutung im jüdischen Haushalt und für den Gottesdienst
Man kann mit Gewißheit sagen, daß die Juden, die in Schenklengsfeld wohnten, wenn sie auch nicht alle gleich streng fromm waren, doch ohne Ausnahme gut gläubig im Sinne ihrer Religion gelebt haben und daß jeder Haushalt streng koscher geführt wurde. Fast alles, was bei den Juden Sitte und Brauch ist, hat seinen Ursprung in der Überlieferung der religiösen Geschichte Israels, einschließlich der Thora, der Gesetze der Fünf Bücher Moses.
Zwischen den Häusern der christlichen und der jüdischen Bewohner des Dorfes gab es keinen äußerlich bemerkbaren Unterschied. Jedoch beim Betreten eines jüdischen Hauses entdeckt man an dem oberen Teil des rechten Pfostens der Eingangstür, ebenso wie auch an den inneren Türen, die Messussah. Diese ist ein kleiner Metallbehälter, ungefähr 7 cm lang und 1,5 cm breit, von dem die obere Hülse sich von der unteren Fläche abheben läßt. Sie ist am Türpfosten schräg befestigt. Das hebräische Wort
Schaday (der Allmächtige) ist darauf sichtbar. Im Inneren befindet sich eine kleine Pergamentrolle, auf der das Gebet „Sch'ma Israel..." (Höre Israel...) sehr klein gedruckt ist. Dieses Gebet ist das universale Glaubensbekenntnis aller Juden. Es wird schon von den kleinen Kindern zum Nachtgebet gesagt, und es sind oft die letzten Worte des Sterbenden. Es findet sich 5. Mose 6, 4 - 9 und 5. Mose 11, 13-17.
Jeder Jude küßt beim Übertreten der Schwelle mit Zeige- und Mittelfinger die Messussah. Durch diese Geste stellt er sich unter Gottes Führung und sei­nen Segen.
Nicht so auffällig waren im jüdischen Haushalt Gegenstände und Geräte, die zwar keine besondere religiöse Bedeutung hatten, aber trotzdem zur Tra­dition gehörten, so z. B. der Sabbatleuchter. Andere werden in diesem Bericht noch erwähnt.
Jede Familie hatte eine Anzahl hebräischer Gebetbücher. Als erstes das für tägliche Gebete, das Siddur, das anderswo auch als Tefillah bekannt war. Ebenso der Band der Fünf Bücher Mose mit dem Anhang der Propheten, der Psalmen, Schriften, Klagelieder und Megiloth. Dieser war als Chumesch (von der Nummer Fünf-Chamesch) bekannt. Außerdem gab es noch die Bände der Gebetbücher für die hohen Feiertage, die Machsorim. Ganz bestimmt aber auch die Haggadah (oder auch Hagodeh genannt), die man beim Pesach-Seder zum Vorlesen benutzte. Die Machsorim wurden sehr oft mit eingraviertem Namen dem dreizehnjährigen Jungen zur Bar Mizwa geschenkt. Besonders bevorzugt waren die neuen Ausgaben, in denen neben dem hebräischen Text die deutsche Übersetzung steht. Fast alle Familienmitglieder, auch die Schulkinder, besaßen ihre eigenen Gebetbücher. In mehreren jüdischen Häusern standen auf den Bücherregalen auch Bände der hebräischen Lehrbücher, wie der Talmud, die Mischnah oder Gemorah und andere Literatur.
Diese, in altem Leder gebunden und mit verblichenen Blättern, waren Zeuge der Vererbung von Generation
zu Generation, die diese Bücher während der Jahrhunderte zum Studium benutzt hatten. Man betrachtete diese als besonders wertvollen Besitz. Sie waren eine Quelle der Weisheit und Erziehung und bestanden aus Antworten auf die meisten Fragen. Sie gaben guten Rat im Wohlstand und Hoffnung in Armut und Krankheit. Wo sind diese Bücher wohl hingekommen?
Zum täglichen Gebrauch aber gehörte das Siddur, das meistens im Zimmer auf dem Eßtisch zu finden war. Dieses Buch enthielt auf 312 Seiten ungefähr 100 bis 110 verschiedene Gebete, Segenssprüche, Gelübde, Danksprüche, Klagelieder, Psalmen, Lieder und Hymnen. Das Siddur gehörte zum Haus wie der Deckel zum Kochtopf. Es wurde vom Hausherrn, seiner Frau, den Großeltern und auch von den Kindern ständig benutzt. Darin fand man Morgen- und Nachtgebete für die Kinder. Die Segenssprüche zum Anlegen des Talith und der Tephillin, die Gebete für die täglichen Morgenandachten, das Schachrilh und Mussaph, sowie auch für das Nachmittags-Mincha und allabendliche Maariv-Gebet. Gleichzeitig aber auch dieselben Gebete für den Sabbat und die Feiertage. Zu all diesen Andachten, entweder zu Hause oder in der Synagoge, gehörten unter anderen das Sch'ma-lsrael, das Schmoneh Esrey (achtzehn Sprüche), das Kaddisch und auch das Olenuh (Schlußgebet).
Die Plätze in der Synagoge waren festgelegt, und man konnte Talith und Gebetbücher im Pult lassen. Am Montag und Donnerstag wurde während der Morgenandacht ein kurzer Abschnitt aus der Thora vorgelesen. Dazu wurden dann auch die entsprechenden Segenssprüche zum Ausheben und Einheben der Thora (aus dem Thoraschrank) gesungen. Mussaph wurden nur an den Tagen gesagt, wenn Thoralesung
sattfand. Das Schachrith wurde nach Sonnenaufgang gesagt und dauerte ungefähr 40 Minuten, aber etwas länger mit Mussaph. Mincha am Spätnachmittag dauerte fast 20 Minuten, und Maariv nach
Sonnenuntergang fast 30 Minuten.
Zu dem dreimal an Wochentagen stattfindenden Synagogen-Gottesdienst braucht man so wie zu jedem anderen Gottesdienst in der Synagoge oder im Haus ein Minjan (ein Quorum von 10 Männern älter als 13 Jahre). Wenn der Kantor (Lehrer) aus irgendeinem Grund zum Gottesdienst nicht anwesend sein konnte, war es erlaubt, daß ein anderer Mann, ob jung oder alt, dem die Gebete geläufig waren, das Pult des Vorbeters als Ehrenamt zeitweilig übernehmen konnte. Während der Morgenandacht tragen die Männer ihre Tephillin und ebenso auch den Talith. (Die Tephillin sind 2 Lederriemen, verschiedenartig geknotet, mit je einer hohlen 3x3x3 cm-Lederkapsel, die innen 4 kleine Abteilungen hat. Die eine Kapsel wird unter dem natürlichen Haaransatz auf der Stirne angelegt und die andere am linken Arm über dem Ellbogen, ungefähr
in Höhe des Herzens [5. Mose, 6,8].)
In jeder der je 4 Abteilungen befinden sich kleine Pergamentrollen mit Sätzen aus 5. Mose 13,1-10 und 11-16, 5. Mose 6, 4 - 9 und 5. Mose 11,13 -21.
Der Talith ist ein 2 x 1 m weiß und blauer Gebetsschal, der beim Gebet über der Schulter getragen wird, und er hat die Tzizith (wollene Schaufäden) an seinen vier Ecken. Der Talith ist angeblich symbolisch für die frühere Kleidung der Juden, während die Tzizith an die Vertreibung an alle 4 Enden der Erde erinnern.
Knaben, die noch nicht Bar Mizwa waren, trugen ein Leibchen mit den Tzizith unter dem Hemd. Dieses wurde Arha Kanfoth (4 Ecken) genannt.
Alle männlichen Juden müssen den Geboten nach eine Kopfbedeckung tragen aus Respekt vor dem Allmächtigen, falls SEIN Name - gewollt oder ungewollt - ausgesprochen wird.
Männer, Frauen und Kinder, die nicht am Synagogen-Gottesdienst teilnehmen können, sagten ihre Gebete
zu Hause. Die Männer aber legten nur die Tephillin zum Morgengebet an den Wochentagen an.
Die Synagogenbänke und -pulte waren alle nach Osten (Jerusalem) gerichtet, und fast in allen Häusern zeigte ein gewisses Wandbild in diese Richtung.
Zu den vielen verschiedenen Gebeten im Siddur gehörten unter anderem auch das Gebet für das Vaterland und der Segensspruch für das Wohlergehen des Landesherrn; ebenso Segenssprüche vor dem Essen und das Tischgebet nach den Mahlzeiten für die Erstlingsfrüchte und besonders für den Wein (Kiddusch), für das Obst der Bäume und die Früchte der Erde und für das Brot, Danksprüche für Errettung von Gefahr und die Klage über den frühen Tod eines Kindes. Man konnte sich in jeder besonderen Angelegenheit an Gott wenden. Wenn es die hebräische Sprache nicht zuließ, versuchte man in deutsch zu IHM zu sprechen.
Man hatte doch zu Gott gute Beziehungen. Er war ja der Allmächtige im Himmel, „Elohenu, UNSER GOTT."
Die Gebete wurden alle in hebräischer Sprache gesagt, die als die heilige Sprache (Loschen Ha-Kaudesch oder in Neuhebräisch - Laschon Hakadosch) nicht als tägliche Umgangssprache benutzt werden durfte.
Der Unterschied zwischen dem Gebets-Hebräisch und dem Neuhebräisch, das in Israel als Landessprache benutzt wird, ist ungefähr so wie der zwischen dem früheren katholischen Kirchenlatein und der heutigen italienischen Sprache. Die Schrift der hebräischen Sprache ist in beiden Fällen dieselbe, nur die Vokale werden anders ausgesprochen, so wie es in dem obigen Beispiel gezeigt ist. Die Gebete wurden meist leise gesagt, manchmal auch geflüstert, laut nachgesagt oder mit dem Vorbeter gesungen. Die genaue Übersetzung und Bedeutung der Gebete war den Andächtigen nicht immer bekannt, aber das tat der
Andacht in der Synagoge keinen Abbruch. Die Thora-Schrift hatte keine Vokale und konnte nur von
wenigen ohne längere Vorbereitung gelesen werden. Es war nichts Außergewöhnliches, einem oder mehreren Juden in der Eisenbahn oder in einem Gasthof der Umgebung zu begegnen, wo er mit Tephillin bedeckt, sein Morgengebet in östlicher Richtung sagte. Das Siddur war immer der beste Reisebegleiter!