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Projekt: Hans Löwenberg
Der Lehrer der Gemeinde
Als geistliches Oberhaupt hatte die Gemeinde den Lehrer, der als staatlicher Angestellter in der jüdischen Volksschule für den Unterricht aller acht Jahrgänge verantwortlich war. Er unterrichtete nicht nur in der Religion, sondern auch in all den Fächern, die vom Staat bestimmt waren. Nebenbei fungierte er auch in seiner Freizeit als Schächter. Ihm oblag auch die Leitung der Synagogen-Gottesdienste als Kantor (ital. cantare = singen) und auch als Prediger. In seinem Amt als Seelsorger der Gemeinde sorgte er sich um die Familienangelegenheiten sowie die Bar Mizwoth, Trauungen, Beerdigungen und anderes. Am Sabbatnachmittag vor dem Mincha in der Synagoge besuchte er die beiden Männerclubs (Chevroth), die abwechselnd in Privathäusern zu­sammenkamen, um jeweils mit ihnen kurze Abschnitte aus der Mischnah zu besprechen und zu erläutern.
An den Sonntagen gab er noch besonderen Religionsunterricht für die Schüler, die mit dem zehnten
Lebensjahr von der Volksschule zum Gymnasium oder dem Lyzeum in Hersfeld gegangen waren. Der Religionsunterricht bestand hauptsächlich im Lernen der biblischen Geschichte, dem Übersetzen der verschiedenen Gebete und dem Auswendiglernen des wöchentlichen Thoraabschnittes aus den Fünf Büchern Mose. Oft mußte man ganze Abschnitte zitieren, ohne die genaue Bedeutung des Gelernten zu kennen.
Der Herr Lehrer gab sich auch große Mühe, schon ein Jahr vorher die angehenden Bar Mizwa-Kandidaten auf ihre Aufgabe vorzubereiten.
In allen religiösen Dingen unterstand der Lehrer dem Rabbinat in Fulda. Der Rabbiner besuchte die Gemeinde ungefähr einmal im Jahr an einem Wochenende als Gast des Lehrers. Bei dieser Gelegenheit gab er den
Schülern Religionsunterricht am Sonntagmorgen. Das war so etwas wie eine leichte Prüfung, die mit einem beiderseitigen großen Aufatmen beendet wurde.