Der Lehrer der Gemeinde
Als geistliches Oberhaupt hatte die Gemeinde den Lehrer, der als staatlicher Angestellter in der jüdischen
Volksschule für den Unterricht aller acht Jahrgänge verantwortlich war. Er unterrichtete nicht nur in der
Religion, sondern auch in all den Fächern, die vom Staat bestimmt waren. Nebenbei fungierte er auch in
seiner Freizeit als Schächter. Ihm oblag auch die Leitung der Synagogen-Gottesdienste als Kantor (ital.
cantare = singen) und auch als Prediger. In seinem Amt als Seelsorger der Gemeinde sorgte er sich um die
Familienangelegenheiten sowie die Bar Mizwoth, Trauungen, Beerdigungen und anderes. Am
Sabbatnachmittag vor dem Mincha in der Synagoge besuchte er die beiden Männerclubs (Chevroth), die
abwechselnd in Privathäusern zusammenkamen, um jeweils mit ihnen kurze Abschnitte aus der Mischnah zu
besprechen und zu erläutern.
An den Sonntagen gab er noch besonderen Religionsunterricht für die Schüler, die mit dem zehnten
Lebensjahr von der Volksschule zum Gymnasium oder dem Lyzeum in Hersfeld gegangen waren. Der
Religionsunterricht bestand hauptsächlich im Lernen der biblischen Geschichte, dem Übersetzen der
verschiedenen Gebete und dem Auswendiglernen des wöchentlichen Thoraabschnittes aus den Fünf Büchern
Mose. Oft mußte man ganze Abschnitte zitieren, ohne die genaue Bedeutung des Gelernten zu kennen.
Der Herr Lehrer gab sich auch große Mühe, schon ein Jahr vorher die angehenden Bar Mizwa-Kandidaten auf
ihre Aufgabe vorzubereiten.
In allen religiösen Dingen unterstand der Lehrer dem Rabbinat in Fulda. Der Rabbiner besuchte die Gemeinde
ungefähr einmal im Jahr an einem Wochenende als Gast des Lehrers. Bei dieser Gelegenheit gab er den
Schülern Religionsunterricht am Sonntagmorgen. Das war so etwas wie eine leichte Prüfung, die mit einem
beiderseitigen großen Aufatmen beendet wurde.