Freitagabend
Die Zeit des Sabbatbeginns war genau für jede Woche im jüdischen Kalender angegeben. Es ist eine
Stunde vor Sonnenuntergang. Dann wurde mit einer kurzen Feier die Schwelle zum Sabbat-Eingang
überschritten. Dies ist der Moment, in dem die Hausfrau den Segen über die Kerzen spricht. Die beiden
Kerzen werden angezündet, die Familie ist versammelt. Die Hausfrau hält die Hände zwischen Augen und
Kerzenlicht, damit sie das Licht erst nach dem Segensspruch, wenn der Sabbat begonnen hat, sieht. Zur
selben Zeit gehen die Männer des Hauses mit bedächtigen Schritten zur Abendandacht in die Synagoge.
Der Gottesdienst war fast derselbe wie am Wochentag-Abend, nur war das Gotteshaus festlicher
illuminiert. Außerdem wurden zu den Gebeten einige Hymnen und Loblieder hinzugefügt. Am Ende der
Andacht sagte der Vorbeter den Kiddusch (den Segensspruch über den Wein) mit erhobenem Silberbecher
und geübter Stimme. Die kleinen Knaben stellten sich neben den Vorbeter, um einen Schluck des Weines
zu kosten.
Von Zeit zu Zeit kam es vor, daß die Gemeinde am Sabbat von einem jüdischen armen Mann besucht
wurde, der auf seiner Wanderschaft den Sabbat in Schenklengsfeld verbrachte. In der Synagoge nahm er
auf der letzten Bank, die immer frei blieb, Platz. Es war sicher, daß er von dem einen oder anderen der
Männer eingeladen wurde, den Sabbat als Gast in seinem Hause zu verbringen. Einem armen Mann Obdach
zu geben, besonders am Sabbat, war für einen Juden die größte Mizwah (gute Tat), die ganz sicher den
ständigen Segen Gottes für sein Haus bringen wird.
Zu Hause angekommen, wurde sofort ein zusätzliches Gedeck für den Gast aufgelegt. Inzwischen hatten
auch die Frauen ihre Hausandacht beendet. Man sagte sich ein gegenseitiges „Gut Schabbes". Danach
segneten die Eltern ihre Kinder, die mit gebeugten Köpfen wartend vor ihnen standen.
Auf dem väterlichen Platz des Tisches lagen die beiden Barches mit Samtdecken darüber, und daneben
stand der Wein im Silberbecher. Zuerst wurde der Kiddusch gesprochen, dann bekamen die Anwesenden
einen Schluck Wein. Danach mußte man die Hände waschen, wozu ein Segensspruch gesagt wurde. Gleich
darauf schnitt der Hausherr das Barches-Brot an, tauchte das erste Stück in Salz, wobei er einen
Segensspruch sagte, und aß es. Dann teilte er auf die gleiche Weise an alle aus.
Nun wurden zu Ehren des Sabbat noch einige Lieder gesungen sowie auch ein besonderes Lob der
Hausfrau ausgesprochen, in dem hervorgehoben wurde, daß sie „die einzige und beste aller treuen Frauen
sei", bis dann endlich die Suppe auf den Tisch kam und darauffolgend die ganze Mahlzeit. Der Gast des
Hauses erzählte inzwischen zur Unterhaltung der Anwesenden von interessanten Erlebnissen auf seinen
Wanderungen. Hin und wieder bemerkte er noch so ganz nebenbei, daß er eine sehr kranke Frau zu Hause
habe sowie 7 Töchter, die ohne Mitgift keine Möglichkeit zur Heirat hätten, und auch, daß er ärmer als alle
Ärmsten sei, da er keine Enkelkinder zu erwarten habe und so die Fortpflanzung seiner ehrenhaften Familie
infrage stehe. Außerdem versicherte er der Hausfrau, daß ihre Kost das Beste war, was ihm auf allen
seinen Reisen je vorgesetzt wurde. Mit einer solchen Frau sei der Hausherr doch tatsächlich ein
wohlhabender Mann, der in seiner Wohltätigkeit ihm hoffentlich verzeihe, wenn er noch um eine zweite
Portion der delikaten Apfeltorte bitte. Bevor er dann am Sonntagmorgen, sich herzlich bedankend, seine
Reise fortsetzte, erinnerte er den Gastgeber nochmals an seine schwerkranke Frau und wahrscheinlich
auch an die heiratsfähigen Töchter. So gab er den anderen jüdischen Familien im Dorf die Möglichkeit, zu
seiner Geldsammlung „für einen guten Zweck" beizutragen.
Der Freitagabend ging nun zu Ende. Mit dem Gesang des Tischgebetes und anderen Lobliedern machten
sich die Anstrengungen der vergangenen Woche wie auch der Wein und das gute Essen langsam
bemerkbar, und man konnte beobachten, daß bei manchen die Augenlider zusehends schwerer wurden. Es
dauerte nicht lange, und die Familie suchte den nötigen Schlaf in den Bettkammern.