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Projekt Isfried Neuhaus
Er (mein Vater) war eines der vier Kinder von Samuel und Berta Neuhaus. Er wurde 1889 geboren und absolvierte die Elementarschule in Baumbach. Dann machte er eine Lehre bei einem Kurzwarenhändler in Norddeutschland. Dort musste er schwere Güter transportieren und es dauerte nicht lange, bis er sich einer Bruchoperation unterziehen musste. Nachdem er in verschiedenen Kurzwarengeschäften gearbeitet hatte, wurde er als Handlungsreisender angestellt und verschaffte sich seine eigene Reiseroute.
Ein Ereignis, das bedeutsam für sein Leben und das der meisten Europäer wurde, geschah am 1. August 1914. Deutschland erklärte Russland den Krieg, was den Ausbruch des Ersten Weltkriegs bedeutete. Mein Vater, der damals 25 Jahre alt und ledig war, wurde sofort in die Infanterie der Kaiserlichen Armee eingezogen. Fast vier elende Jahre verbrachte er in den Schützengräben in Frankreich und Belgien, bis er schließlich – es war die erste oder die zweite Pessachnacht 1918 –von einem Schrapnell aus einem britischen Artilleriegeschütz am Arm schwer verwundet wurde. Dies beendete natürlich seine Armeekarriere, und er verbrachte ein Jahr in einem Militärlazarett in Kassel, um von seiner Verwundung zu genesen.
Zum Glück überlebte mein Vater den Krieg, nachdem er mit G’ttes Hilfe mehrfach knapp davon gekommen war. Bei Kriegsbeginn waren die deutschen Soldaten noch nicht mit Stahlhelmen ausgerüstet. Sie trugen ziemlich leicht gebaute, spitze Helme aus Leder oder ähnlichem Material. Nach einer Schlacht bemerkte ein Kriegskamerad einmal, dass die Spitze von dem Helm meines Vaters abgeschossen war. Wäre die Flugbahn des Geschosses ein paar Zoll tiefer gewesen, wäre dieses Buch nie geschrieben worden.
Etwas anderes, was Jahre später für meine Familie Bedeutung bekommen sollte, war die enge Freundschaft, die mein Vater mit einem Kriegskameraden namens Edwin Pfeil schloss. Mein Vater kannte diesen Mann, der in Falken in Thüringen wohnte, weil er regelmäßig in diesem Dorf geschäftlich zu tun hatte. Sie wurden gute Freunde und hielten den Kontakt auch nach dem Krieg noch aufrecht. Die 1920er Jahre waren für die Deutschen eine wirtschaftlich schwierige Zeit. Sie waren eine besiegte Nation. Sie hatten unter einer lähmenden Inflation und politischer Unsicherheit zu leiden. Statt in den Spiegel zu schauen, brauchte das deutsche Volk einen Sündenbock, auf den es die Schuld für sein Unglück abwälzen konnte. Die herrschende Stimmung kam einem üblen Demagogen wie Hitler sehr entgegen und begünstigte sein Streben nach Macht. Die Juden waren in seiner Propaganda natürlich die Hauptschuldigen und konnten für alles Schlimme verantwortlich gemacht werden. Diese Vorstellung war bei der Mehrheit der Deutschen damals tief verwurzelt. Erstens gaben sie vor, dass sie an ihrem Elend nicht selber schuld seien, weil die Juden sich gegen sie verschworen hätten. Zweitens wussten die Deutschen, dass sie nach Vertreibung und Ermordung der Juden deren Geschäfte, Häuser und anderen Besitz im Handumdrehen würden rauben können. Ich kann mich erinnern, wie ich als kleiner Junge mitbekam, wie die Erwachsenen in der jüdischen Gemeinde über die Hitlergefahr sprachen. Man war sich in der Regel einig in der Meinung, dass er sich nicht lange an der Macht halten würde und wir wirklich keinen Grund zur Besorgnis hätten. Der Kriegskumpel meines Vaters, Edwin Pfeil, von Beruf Bäcker, war in den 1920er Jahren in die USA ausgewandert. Er lebte in New York und hatte nach einigen Jahren ein Geschäft erworben, das Verzierungen für Hochzeitstorten herstellte und auch Ausrüstungen und Maschinen für kleine Bäckereien vertrieb.
1932 kam Herr Pfeil, ein Nichtjude, nach Deutschland, um in Leipzig eine Messe zu besuchen. Er nahm natürlich Kontakt mit meinem Vater auf, und sie trafen sich. Er sagte meinem Vater, für die Juden gebe es in Deutschland keine Zukunft, und riet ihm, das Land zu verlassen und nach Amerika zu gehen. Mein Vater hatte offenbar erwähnt, dass seine Frau mehrere Onkel und eine Tante in den Vereinigten Staaten habe. Herr Pfeil bat meinen Vater daher um die Adresse der Verwandten, um sie von sich aus aufzusuchen und sie zu drängen, eidesstattliche Erklärungen zu schicken, damit wir auswandern könnten. Mein Vater hielt das für eine gute Idee und daraufhin ging Herr Pfeil nach Hunderton County, New Jersey, um mit unseren Verwandten zu reden, die zu diesem Zeitpunkt schon in den Ruhestand getreten waren. Er muss sehr überzeugend aufgetreten sein, denn auf Anhieb setzte sich ein Räderwerk in Bewegung, das es uns ermöglichte, Deutschland zu verlassen. Die Lebensbedingungen hatten sich zwischen 1932 und 1933 schnell verschlechtert. Hitler kam an die Macht, antijüdische Gesetze wurden beschlossen, jüdisches Eigentum wurde verwüstet, jüdische Friedhöfe wurden geschändet und in unserer Nachbarschaft wurde eine Reihe von Juden schwer geschlagen. (...) All diese Geschehnisse erleichterten es meinem Vater, meinem Großvater und meinem Onkel Siegfried Bachenheimer, der die Schwester meiner Mutter geheiratet hatte, ihre Zelte abzubrechen und das Land zu verlassen, in dem ihre Familien über viele Jahrhunderte hin gelebt hatten.
In der Rückschau ist mein Großvater Baruch Katz für mich die Person, die mich am meisten überrascht. Dieser Mann war im Alter von 75 Jahren so weise und vorausschauend, sein Haus und seinen Besitz zu verkaufen, um sein Leben in einem fremden Land fortzusetzen, mit einer fremden Sprache und vielen ebenso fremden Sitten und Gebräuchen.


  
David Neuhaus und seine Frau Frieda geb. Katz Frieda wurde am 8. November 1891 in Heinebach geboren, als Tochter von Baruch Katz, der 1889 Sara Nussbaum aus Rhina geheiratet hatte.