Planmäßige Isolierung - Auswanderung als Ausweg
Heidi Rößing reflektiert über die Situation, in der sich die Speiers
befanden:
Eingeschüchtert, von vielen Christen peinlich gemieden, ohne
Einkommen, war das Leben nur schwer zu ertragen. Ziel der
Nationalsozialisten war es, nachdem den Juden die Existenz
genommen war, sie zur Auswanderung zu drängen.
Einige jüdische Familien hatten Niederaula schon verlassen. Auch
Speiers überlegten, ob sie diesen Schritt tun sollten. Aber wohin?
Abgesehen von Reise- und Umzugskosten für eine ganze Familie,
war es auch schwierig in einem anderen Land wieder Fuß zu fassen.
Man kannte die andere Sprache nicht. Wie sollte man da eine Arbeit
finden? Der Spuk wird vorüber gehen, so hoffte der Familienvater.
In all diese Überlegungen platzte die Nachricht, dass Sohn Siegfried
festgenommen worden war. Warum? Als die Eltern ihren Sohn im
Gefängnis besuchen wollten, war er bereits entlassen worden und
auf dem Heimweg. Kurzfristige, willkürliche Festnahmen waren eine
gängige Abschreckungsmaßnahme der Nazis gegen die jüdische
Bevölkerung.
Jetzt stand für die Eltern Sally und Bernhardine Speier fest, Siegfried
soll als erster der Familie auswandern und zwar nach Amerika. Dort
hatte man Verwandte, die bereit waren zu helfen. Wieder zu Hause
wollte Siegfried zunächst von den Plänen seiner Eltern nichts wissen.
Aber gab es eine Alternative?
Bei aller Unsicherheit was ihn in einem fremden Land erwarten würde,
überzeugte ihn die Aussichtslosigkeit in Deutschland ein normales
Leben weiter führen zu können.
Am 18. Januar 1935, mit 18 Jahren, verließ er Niederaula und
erreichte New York nach einer langen stürmischen Schiffsreise. Eine
Verwandte, die in New York lebte, holte ihn vom Hafen ab.
Hersfelder Amtsgericht in der
Dudenstraße - mit dem Gefängnis im
rechten Gebäudetrakt, wo Siegfried
Speier nach einer willkürlichen
Festnahme für kurze Zeit inhaftiert
wurde.