Ihr Geschäfts- und Wohnhaus Breitenstraße 16 in Rotenburg hatten Adolf und Berni Speier unmittelbar nach den
Novemberpogromen 1938 an privat verkauft - mit notariellem Vertrag vom 19.12.1938. Die Stadt Rotenburg machte
jedoch ihr Vorkaufsrecht geltend und erwarb im Juni 1939 den Besitz der Familie Speier für den mit dem Erstkäufer
vereinbarten Kaufpreis von 13.000 Mark. Das bedeutete aber für die Familie Speier nicht, dass sie über diesen
Betrag verfügen konnte. Das Geld wurde - damaliger „Rechtslage“ und Praxis gemäß - auf ein Sperrkonto bei einer
Devisenbank eingezahlt. Nur mit ausdrücklicher Zustimmung der zuständigen Devisenstelle - in unserem Falle der
Devisenstelle in Kassel - konnte über das Geld bzw. über Teilbeträge verfügt werden.
17.900 RM war der Einheitswert des Hauses 1935. Der tatsächliche Wert von Gebäuden, der sog. Verkehrswert,
liegt im Allgemeinen deutlich über dem Einheitswert, der als Berechnungsgrundlage für Brandversicherung und dgl.
dient. Der Verkaufserlös war also deutlich niedriger als der tatsächliche Wert. Adolf und Berni Speier waren sich
aber schon vor den Novemberpogromen 1938 im Klaren darüber, dass es in Rotenburg - in Deutschland generell -
keine Zukunft für sie und ihre Kinder geben würde. Deshalb waren sie auch zum Abschluss eines Kaufvertrags
bereit, der deutliche finanzielle Einbußen beinhaltete.
Sechs Jahre setzte man einen neuen Einheitswert für den ehemals Speierschen Besitz fest. 1944 wurde der
ursprüngliche Einheitswert auf 10.700 RM „berichtigt“. Ahnte man schon etwas von etwaigen späteren
Nachzahlungen an die um Teile ihres Besitzes geprellten ehemaligen Eigentümer?
Wortlaut des Aktenvermerks vom 7.12.1950:
Betr. Wohnhaus Breitenstr. 16 (Speyer)
Der Einheitswert betrug 1935 17.900.- RM
Er wurde im Jahre 1944 auf 10.900.- RM festgesetzt
und berichtigt.
gez. Unterschrift