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Projekt Samuel Spiro
"Ich lebte in Hersfeld im Hause meines Onkels (Mann der Schwester meiner Mutter), der, wie viele Angehörige meiner Familie, Lehrer war und an der jüdischen Volksschule unterrichtete. Er war mit einer reichen Kinderschar gesegnet, und alle diese sieben Kinder waren ausgezeichnete Schüler. Der Onkel selbst war ein ungewöhnlich vornehmer, gütiger, liebenswerter Mann, der in seiner Gemeinde hohe Verehrung genoß. Er gehörte zu den wenigen wahrhaft Frommen, denen ich im Leben begegnet bin, bei denen Leben und Lehre im Einklang miteinander standen. Sein Vorbild bewirkte, daß die Gemeinde Hersfeld, in der es ursprünglich viele Nichtreligiöse gegeben hatte, später zu den religiösesten des Bezirkes gehörte. - Der sonst
so gütige Mann bedachte mich im Laufe meines dreijährigen Aufenthaltes in seinem Hause zweimal mit Ohrfeigen, einmal weil ich
meiner Tante, seiner Frau, eine ungehörige Antwort gegeben hatte und das zweite Mal,
weil ich versäumt hatte, Tefillin zu legen. Ich war an diesem Morgen 14 Kilometer zu Fuß
von Schenklengsfeld nach Hersfeld gewandert und hatte vor Schulbeginn nicht mehr die Zeit, Tefillin zu legen. Aber ich kann beteuern, daß
es in dieser Periode meines Lebens das einzige Mal war, daß ich dieses Gebot nicht erfüllte."



  
Samuel Spiro in seinen "Jugenderinnerungen aus hessischen Judengemeinden":
  
(rechts)
Der jüdische Lehrer  Moses Nußbaum, Samuel Spiros Onkel, bei dem er drei Jahre (1896-1899) wohnte, um in Hersfeld das Gymnasium zu besuchen.



(unten)
Die Jüdische Schule mit Lehrerwohnung, in der Samuel Spiro bei seinem Onkel Moses Nußbaum als Gymnasialschüler wohnte.