Gertrude Eckert (*1919) erinnert sich :

Es war ein vertrauensvolles Miteinander im Haus
Ich bin katholisch, aber bei uns im Haus war es keine Frage ob jüdisch, evangelisch oder katholisch, das gab es bei uns nicht. Mein Vater war ein sehr liberaler Mann. Und mit dem Joseph war er gut befreundet. Es war ein vertrauensvolles Miteinander zwischen unseren beiden Familien. Ich erinnere mich, dass die Frau Strauss mal gesagt hat, so ungefähr: "Habt ihr was gemerkt, heute Nacht war ein Einbrecher bei Euch in der Küche, ich brauchte Brot, die wollten um vier Uhr morgens weg, da hab ich mir bei Euch in der Küche Brot geholt."  Die Männer fuhren in die Dörfer zum Aufkaufen von Heidelbeeren. Die Frau Strauss wusste ja, dass wir nur das Rhinaer Brot (vom jüdischen Bäcker Blumenthal) hatten und dass es in dem Brotkasten lag.
Ich kann mich noch sehr genau entsinnen -ich ging noch nicht zur Schule- wie die Lilly Strauss nach Hünfeld kam. Sie hatte so blonde Haare, hier vorne waren sie abgeschnitten -da kam der Bubikopf erst auf- und hinten war ein Knötchen. Ich bin immer hin gegangen und habe geguckt, wenn sie sich frisierte. Das hat mich als kleines Mädchen so wahnsinnig interessiert.
Meine Eltern führten keine sehr gute Ehe, machmal stritten sie sich fürchterlich, nachts. Und ich habe, bis ich zehn Jahre war, mit in ihrem Schlafzimmer geschlafen. Und was hab ich gemacht? Ich hätte laut schreien müssen, dass sie aufhören. Aber ich hab die Augen zugepetzt und getan, als wenn ich schliefe. Dann raus aus dem Bett, aus dem Zimmer, rein in Straussens Schlafzimmer -nachts um zwei oder drei- zu denen ins Bett und weitergeschlafen. Meine Eltern haben das gar nicht gemerkt.