Gütchen Levi

Hier ruht
Eine Frau des Mutes, die Hausfrau
Und ihre Seele sei gebunden an ihren Gott
Gitchen Ehefrau von Yehuda
Sohn von Benjamin halevi
Von Ronshausen
Gestorben am Dienstag dem 4. September
Im Jahre 1913
Ihre Seele sei eingebunden in den Bund des Lebens

H. L.
a woman of valor the homemaker
and her soul was bound to her G-d
Gitchen wife of Yehuda
son of Benjamin halevi
from Ronshausen
died on 2 Elul
in the year 5673
may her soul be bound in the knot of life

[2 Elul 5673=Thursday 4 September 1913]

p. n.
eshet hayil akeret habayit
v'tidbak nafsha b'eloheah
Gitchin eshet Yehuda
bar Benyamin halevi l'fi
m'ronshausen
meta b'yom bet elul
shnat taf-resh-ayin-gimel
tantzeva

[FOTO]

Gütchen Levi war eine geborene Oppenheim aus Niederaula. Durch die Heirat mit Levi Levi war sie nach Ronshausen gekommen, wo die Familie ihres Mannes mitten im Ort ein stattliches Anwesen besaß. Über mehrere Generationen sind die Levis in Ronshausen nachzuweisen. Stammvater Samuel lässt sich ins frühe 17. Jahrhundert datieren.

Dessen Namensvetter Samuel (1882-1938), Gütchen Oppenheim Levis jüngster Sohn, war einer der Gebrüder Levi, die in der Apothekenstraße in Bebra einen Handel mit Textilien einrichteten. „Kein Laden, sondern Lagergeschäft.“



Geschäftsanzeigen Ronshausen


Geschäftsanzeigen Bebra




Samuel Levi, Gütchen Oppenheim Levis jüngster Sohn (geb. 1882), hatte 1913? die aus Eppingen stammende Betty Frank geheiratet, 1914 wurde deren Tochter Traudel geboren.

Betty Levi geb. Frank und ihr Ehemann Samuel Levi hatten Ende 1937 Bettys Mutter Sophie Frank aus Eppingen in ihrem Haus Apothekenstraße 10 aufgenommen. Dort erlebte Sophie in der Nacht vom 7. zum 8. November 1938 die schweren Ausschreitungen gegen die jüdische Bevölkerung, zwei Tage also vor der als „Kristallnacht“ bezeichneten reichsweiten Pogromnacht vom 9. zum 10. November 1938.
Betty Frank Levi

Sophies Enkel Werner Frank dazu: „Meine Großmutter war im Bett, als die Plünderer durch das Haus in der Apothekenstraße 10 tobten. Sie kamen in ihr Zimmer und schmissen den Kleiderschrank um und auf ihr Bett und jagten sie in Schrecken.“ Am 10. November, nach Leopold Levis Abtransport nach Buchenwald und nachdem man ihnen bedeutet hatte, Juden seien nicht länger am Ort erwünscht, entschloss sich Sophies Tochter Betty, im nahen Eisenach einen weniger unsicheren Aufenthaltsort für sich und ihre Mutter sowie ihre Schwester Martha, Leopolds Frau, zu suchen. Betty fuhr mit dem Zug nach Eisenach, wo sie in einer jüdischen Pension in der Georgenstraße 36 fündig wurde, die von einer Familie namens Stern betrieben wurde.
Die jüdische Pension Stern in Eisenach, Georgenstraße 36

Der in der Pension einquartierte damals 24-jährige Eli Reitmann war ihr behilflich, einen Taxifahrer zu finden, der die beiden in Bebra gebliebenen Frauen holte. In der folgenden Nacht geschah das Gleiche mit Betty Frank-Levis Schwager und Schwägerin Benjamin Wolf und Jeanette Levi. Auch in der Folgezeit war Eli Reitmann den aus Bebra Gefllüchteten eine große Hilfe. 1997, fast 60 Jahre später, nennt Eli Reitmann in einem Brief an Bettys Enkelsohn in Israel einige der Gründe, die ihn zu Bettys Beistand werden ließen. Zum einen habe ihr Betty Levi durch ihre Kontakte mit einer französischen Bank in Zürich zu einem Visum für Bolivien verholfen, das er aber nicht in Anspruch zu nehmen brauchte, da ihn auf anderem Wege die Ausreise nach England ermöglicht wurde. Betty habe ihn in vielfältiger Weise bei den Vorbereitungen für seine Ausreise unterstützt, auch mit Waren aus ihrem Geschäft. Der Brief, datiert 9. September 1997 schließt: „Betty kümmerte sich sehr um alle und fand die Zuneigung und die Achtung von allen. Für die meisten in der Pension war sie ‚Tante Betty’.“ Bei der 68-jährigen Sophie Frank führten die Novemberereignisse zu einem Nervenzusammenbruch, in dessen Folge sie sich am frühen Nachmittag des 12. November 1938 aus einem Fenster im 2. Stock der Pension Stern in der Georgenstraße in Eisenach stürzte. Von dem Pogrom, vor dem sie aus Bebra geflohen war, fühlte sie sich offenbar in den folgenden Tagen in Eisenach eingeholt. Diesen Schock überwand sie nicht. Sie wurde im Feld XXXII in der Grabreihe 101 der jüdischen Abteilung des Eisenacher Friedhofs bestattet.



Betty Levi kehrte am 22. Juli 1940 nach Bebra zurück, wo sie bei Clara Döllefeld im Haus An der Bebra 1 Aufnahme fand. Clara war die Schwester von Jenny Wallach, die Siegfried Süßkind aus Atzbach geheiratet hatte. Nach Bebra waren sie wohl gekommen, weil dort seit 1890 ihre Tante Jeanette, die Frau von Benjamin Wolf Levi und Mutter von Leopold Levi wohnte.
Betty Frank Levi (geb. 16.03.1892 in Eppingen - ermordet Juni 1942 in Sobibor)

Am 30. Mai 1942, dem Tag ihrer Deportation über Kassel ins Vernichtungslager Sobibor im Bezirk Lublin/ Ostpolen, schickte Betty (zusammen mit ihren noch in Bebra wohnenden Verwandten Jenny und Sally Süßkind) ein letztes Lebenszeichen an ihre seit 1936 in Jerusalem lebende Tochter und deren Ehemann Dr. med. Siegfried Süßkind: „Leider seit Nov. (1941) ohne Nachricht, wir gesund, Ihr werdet länger ohne Nachricht von uns sein, da wir heute Bebra verlassen. Bleibt gesund. Herzliche Grüße Betty, Sally, Jenny“



Traudel Levi PortraitTraudel in JerusalemBild links: Traudel Levi 1932 als 18-Jährige

Bild rechts: Traudel Levi mit ihrem Ehemann Dr.med. Siegfried Karl Suesskind und zwei ihrer drei Kinder in Jerusalem in den 1950er Jahren
 

Brückengasse 12 in Rotenburg, Geburtshaus von Erich Levi

Erich Levi, geb. am 29. Juli 1905, war der Sohn von Joseph Levi und Enkel von Gütchen und Levi Levi. Joseph hatte 1899 die Rotenburgerin Rosalie Linz geheiratet, die jüngere Tochter von Susmann Simon Linz, Brückengasse 12. Erich Levis Vater starb im Oktober 1935, bis dahin hatte die Familie den Manufakturwaren- und Textilladen geführt. Das Geschäft ging offenbar gut, denn die Eltern konnten Sohn Erich den Besuch des Hersfelder Gymnasiums ermöglichen, an dem er 1924 das Abitur ablegte; anschließend studierte er Jura.
 
Geschäftsanzeigen im Rotenburger Kreisblatt 1899 und 1906

Zum Zeitpunkt der NS-Machtübernahme arbeitete er als Referendar am Kasseler Landgericht. Jedoch schon im Februar 1933 verlor er die Stelle. In einer Stellungnahme der Rotenburger Ortspolizeibehörde vom 27. November 1933 ist vom „flüchtigen Referendar Erich Levi“ die Rede. Er wird beschuldigt, zusammen mit dem Kaufmann Hermann Linz II, bei der Herstellung kommunistischer Flugblätter beteiligt gewesen zu sein, woraufhin schon im März 1933 die dafür genutzte Adler-Schreibmaschine konfisziert wurde. In Kenntnis der Tatsache, dass Hermann Linz bei der republiktreuen Staatspartei und im Reichsbanner aktiv war, ist die Anschuldigung, die gegen die beiden erhoben wurde, kaum nachvollziehbar. Aus einem ganz anderen Grund aber ist erklärbar, dass Erich Levi schon im Februar, also Wochen vor Erlass des Gesetzes zur „Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ am 7. April 1933 eine besondere Zielscheibe der neuen Machthaber geworden war. Erich Levi hatte sich nämlich im Laufe des Jahres 1932 mit allen ihm verfügbaren Mitteln öffentlich gegen die antijüdische Hetzkampagne gestellt, welche die lokale NSDAP-Ortsgruppe mit dem Göttinger Propagandisten Rosenthal veranstaltete. Dabei ging es dem NS-Redner darum, den bösartigen Charakter des Talmud nachzuweisen. In einem Offenen Brief, den das Rotenburger Tageblatt am Tag der Veranstaltung abdruckte, ließ Erich Levi die Öffentlichkeit wissen, dass die NSDAP es abgelehnt habe, bei ihrer vorgeblichen „Aufklärungsveranstaltung“ einen jüdischen Talmudexperten in der Diskussion zu Wort kommen zu lassen. Als Konsequenz aus der mangelnden Diskussionsbereitschaft der Rotenburger NSDAP machte Erich Levi die Bevölkerung auf einen Vortrag des aus Rotenburg stammenden Rabbiners Dr. Leopold Neumann aufmerksam: „Die Wahrheit über den Talmud“.

Anzeige des Centralvereins Deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens, Ortsgruppe Rotenburg im Rotenburger Tageblatt v. 1. Juni 1932

Erich Levi konnte sich durch die Flucht nach Holland zunächst dem Zugriff seiner Häscher entziehen. Mit dem Einmarsch der deutschen Truppen in Holland am 10. Mai 1940 war aber sein Schicksal besiegelt. Im April 1943 wurde er von dort aus in das Vernichtungslager Sobibor verschleppt und dort am 9. April 1943 ermordet. Seinen Eltern blieb ein ähnliches Schicksal erspart, sie waren zuvor verstorben. Ihr Domizil in der Rotenburger Brückengasse, das Geburtshaus von Erich Levi, wurde wenige Wochen vor seiner Ermordung zwangsversteigert.

Anzeige im Rotenburger Tageblatt v. 27. Jan. 1940