Die Novemberpogrome 1938 - Was geschah in der „Kristallnacht“ in Bebra?

Als am 8. November 1938 die deutschen Zeitungen auf ihren Titelseiten in großer Aufmachung über das Attentat eines 17-Jährigen Juden auf den deutschen Diplomaten vom Rath berichteten - so auch das Bebraer Tageblatt - und ankündigten, dass das Judentum die Folgen dieser Tat zu tragen habe, hatte der Judenpogrom in Bebra bereits stattgefunden:
In der Ausgabe des Bebraer Tageblatts vom 8. November 1938 heißt es unter der Überschrift „Aus Bebra und Umgebung“:
„In Bebra konzentrierte sich die spontane Wut vor allem gegen die Synagoge und gegen die Geschäftshäuser jüdischer Hetzer und Treiber, die jahrelang die Bevölkerung auszuplündern verstanden.“
Es war unsere engere Heimat, die eine Vorreiterrolle bei den Judenpogromen im November 1938 spielte: am frühen Abend des 7. Novembers 1938 in Kassel und ab ca. 10 Uhr dann auch in Bebra erlebte die jüdische Minderheit eine bis dahin unvorstellbare öffentliche Demütigung und Zerstörung ihres noch verbliebenen privaten und Gemeindebesitzes. Der Ablauf der Geschehnisse im November 1938 in Bebra ist genau dokumentiert durch die Gerichtsverhandlung gegen den damaligen NS-Kreisleiter Braun vor dem Landgericht in Kassel sowie den Bericht des damaligen Bebraer Bürgermeisters an den Landrat des Kreises Rotenburg vom 23. November 1938.
Textfeld: Am 7. Nov. 1938 fand im Hessischen Hof in Bebra eine Versammlung der NSDAP statt, in der Kreisleiter Erich Braun zur Vergeltung für das Pariser Attentat aufrief.

Die Ausschreitungen in Bebra vollzogen sich in zwei Schüben, wie aus dem Bericht des damaligen Bürgermeisters Schwichtenberg an den Landrat hervorgeht (vgl. Kropat, Wolf-Arno: Kristallnacht in Hessen der Judenpogrom vom November 1938 ; eine Dokumentation. - Kommission für die Geschichte der Juden in Hessen (1988):
Den Auftakt gab es in der Nacht vom 7. zum 8. November 1938: „Gegen 24 Uhr zogen einzelne Gruppen durch die Stadt und zerstörten Fenster und Türen der Wohn- und Geschäftshäuser der Juden sowie der Inneneinrichtungen. Auch das Innere der Synagoge und der Judenschule wurden vollkommen vernichtet.
Die zweite Welle von Ausschreitungen erfolgte in der Nacht vom 9. zum 10. November, der eigentlichen „Kristallnacht“, nach dem Ableben des Gesandtschaftsrates vom Rath:
Diesmal wurden Möbel aus den Wohnungen der Juden herausgeholt und öffentlich auf dem Adolf-Hitler-Platz (heute: Anger) verbrannt. Insgesamt wurden 20 Gebäude (einschließlich der Synagoge und der Judenschule) beschädigt.

Gemäß Funkspruch der Staatspolizeistelle Kassel an alle Landräte vom 10. November 1938 waren die männlichen Juden des Kreisgebiets in die Hohenzollernkaserne in Kassel zu schaffen, um sie von dort ins Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar zu schaffen.
„Die aus Bebra geflüchteten männlichen arbeitsfähigen Juden sind, soviel hier bekannt geworden ist, aufgegriffen und einem Konzentrationslager zugeführt worden“, teilte der Bürgermeister dem Landrat mit.
Das Schreiben endet mit einer Formulierung, die kennzeichnend für die Denkungsart jener Zeit war:
„Es ist damit zu rechnen, dass sämtliche Häuser veräußert und Bebra in nicht allzu langer Zeit hundertprozentig judenfrei werden wird.“
In der Neubearbeitung von 1997 Wolf-Arno Kropat: „Reichskristallnacht“: Der Judenpogrom vom 7. bis 10. November 1938 – Urheber, Täter Hintergründe“, lesen wir bezüglich Bebra (S. 58):
„Genauer sind wir über die Täter der Pogrome informiert, die sich in dieser Nacht (= vom 7. zum 8. November 1938) im Kreis Rotenburg a. d. Fulda ereignen. Dort fand am 7. November zunächst im Hessischen Hof in Bebra eine Versammlung der NSDAP statt, in der Kreisleiter Erich Braun zur Vergeltung für das Pariser Attentat gegenüber Juden aufrief. Gegen Mitternacht begann die Terroraktion. Mehrere Trupps zogen durch die Straßen der Stadt und zerstörten die Inneneinrichtung der Synagoge und der jüdischen Schule sowie der jüdischen Wohn- und Geschäftshäuser. Die Ausschreitungen dauerten die ganze Nacht bis in die frühen Morgenstunden an. Bei einem weiteren Pogrom, der am Abend des 9. November stattfindet, wurden sogar die Treppen, die zu den jüdischen Häusern führten, zerstört – als Zeichen, dass die weitere Anwesenheit von Juden in Bebra unerwünscht sei.“


Ein Zeitzeuge - zum Zeitpunkt des Novemberpogroms 1938 zehn Jahre alt - berichtete, dass am Morgen des 8. November sein Lehrer mit der Schulklasse zur Synagoge und anderen in Mitleidenschaft gezogenen Judenhäusern gegangen sei und mit großen Sprüchen das Geschehen unterstützt und gerechtfertigt habe.
Video Erich Suck
Stichwort
Andere befragte Zeitzeugen wiesen uns darauf hin, dass nicht wenige Bürger von den Geschehnissen betroffen gewesen seien.(Video Zeitzeuge Claus) Die Opfer zahlen die „Tumultschäden“
Die Kosten für die Instandsetzung der zerstörten Häuser (Gesamtkosten in Bebra ca. 120.000 RM) mussten die jüdischen Bürger selbst tragen. Sie wurden vom Bürgermeister sogar gedrängt, die sichtbaren Schäden ohne Verzug zu beseitigen (gemäß der Regierungsverordnung vom 12. November 1938 „Zur Wiederherstellung des Straßenbildes bei jüdischen Gewerbebetrieben“).

Bebras Bürgermeister Schwichtenberg am 20. Jan. 1939 an Isak Katzenstein (Adresse nach Verlassen Bebras: Fulda, Rhönstraße 21 bei Sally Klebe)
Betr. Instandsetzung Ihrer Wohnung:
Die Kosten für die Instandsetzung Ihrer Wohnung in Bebra betragen 258,- RM. Nach der Verordnung zur Wiederherstellung des Straßenbildes bei jüdischen Gewerbebetrieben vom 12.11.1938 müssen die Kosten der Wiederherstellung die Inhaber der betreffenden Gewerbebetriebe und Wohnungen tragen. Ich bitte um Mitteilung, ob Sie die Kosten tragen wollen. Eine genaue Kostenrechnung wird Ihnen auf Wunsch zugesandt werden.



Video Frau Cavalier
Video Kurt Rehs
Video Karlheinz Claus