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Juli 1876

In den letzten Jahren habe ich immer mehr neue Gesichter gesehen, immer mehr jüdische Familien sind nach Rhina gezogen. Im Dezember gab es eine Volkszählung. 337 Juden wurden gezählt, gegenüber 263 Christen. Damit ist Rhina jetzt der einzige Ort in ganz Preußen mit einer jüdischen Mehrheit. So steht es jedenfalls in allen Zeitungen, wie ich einem Gespräch entnehmen konnte:

"Eigentlich müßten wir doch jetzt den Bürgermeister stellen," meinte der Eine.

"Das kann ich mir kaum vorstellen, dass die Preußische Regierung in Berlin damit einverstanden ist," erwiderte der Anderen.

"Juden und Nichtjuden sind zwar seit 1867 vor dem Gesetz gleich, aber so weit geht die Gleichberechtigung dann doch nicht. Der preußische Innenminister hat es persönlich in der Hand, ob er einen Bürgermeister bestätigt, oder nicht."

"Ist vielleicht besser so," meint sein Gesprächspartner,"ein jüdischer Bürgermeister würde sicher sogar diejenigen noch aufbringen, für die wir allensfalls geduldete Gäste sind, samt unseres Steueraufkommens."