Dr.
Hartmut Heinemann (Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden) auf dem
jüdischen Friedhof am 1.Mai 1998 bei der Dokumentation der
Grabsteine.
Die
Steine geben Zeugnis
Der Friedhof
am Katzenkopf ist ein beredtes Zeugnis jüdischen Lebens vor Ort.
Die Grabsteine sind Relikte eines einst blühenden Lebens in Rotenburg, zugleich
ein Kulturdenkmal ohne seinesgleichen in hiesiger Gegend. Der jüdische
Friedhof auf dem Hausberg war in kurhessischer Zeit zugleich Zentralfriedhof
für die übrigen Juden im Amt Rotenburg.
Nachweislich
des ältesten erhaltenen Haushaltsplans der jüdischen Gemeinde Rotenburgs
musste für den "Todtenhof" im Jahr 1826 ein Grundzins
von 3 Reichstalern aufgebracht werden. Als Einnahmen aus "Beiträgen
anderer Gemeinden zum Todtenhof" waren für das Jahr 1826 15
Taler veranschlagt.
Das Kaddischsagen der Söhne nach dem Tod der Eltern während des
Trauerjahres (11 Monate lang) und späterhin an der "Jahrzeit"
für den Todestag ist eine in Deutschland entstandene und von dort
allmählich von allen Juden pietätvoll übernommene Sitte. Das Aufsagen
dieses Gebets ist häufig das noch einzige Band, das diejenigen Juden,
die ihrer Religion fremd geworden sind, an die Religion ihrer Ahnen
knüpft.
Das Kaddisch Gebet, das Gebet für Trauernde,
vorwiegend aramäisch abgefasst, enthält kein Wort von Tod und Vergänglichkeit,
sondern ist ein Lobpreis Gottes:
Geheiligt werde
der Name Gottes in der Welt, die er nach seinem Willen geschaffen. Sein
Reich möge gar bald, noch zu Euren Lebzeiten, kommen. Es sei für immer
und ewig gepriesen sein Name, der erhabener ist als alle Lobpreisungen,
die man ihm spenden mag. Es komme für uns und ganz Israel Frieden und
Leben aus Himmelshöhen. Der in seinen Höhen Frieden stiftet, möge auch
uns und ganz Israel mit Frieden beglücken.
Oft beschränkt
sich der Schmuck der Grabsteine auf die hebräischen Inschriften, die unverwechselbare,
kantige Quadratschrift. Im ausgehenden 19. Jahrhundert näherte sich die
Gestaltung der Grabmale den christlichen Gebräuchen. An die Stelle der
Steine aus Muschelkalk oder Sandstein traten Säulen und Obelisken, Vasen
und Figuren, vielfach aus Marmor.
Im Verlauf des
vorigen Jahrhunderts erhielten die Grabsteine auf der Rückseite oft zusätzlich
eine deutsche Inschrift, häufig auch auf der Frontseite. Die Inschriften
beschränken sich selten auf die Angabe von Namen und Daten des Begrabenen,
sondern enthalten auch über seine Leistungen und seinen Charakter wertvolle
Mitteilungen. Bei den Männern ist manchmal ihr Beruf angegeben, bei Ehefrauen
oft der Name des Gatten.
Zum Symbolhaften gehört
auch die Form der Grabsteine: Die einfachsten haben mit ihrem halbkreisförmigen
oberen Abschluss die Gestalt der Gesetzestafeln Moses. Diese
einfache steinerne Stele mit geradem, gebogenem oder spitzförmig
zulaufendem Abschluss ist bis ins 19. Jahrhundert die vorherrschende
Form auf dem jüdischen Friedhof in Rotenburg. Andere Grabsteine
sind wie der tempelartig stilisierte Thoraschrein der Synagoge geformt.
Die Grabsteine in dieser Form beziehen sich auf ein bedeutendes
Motiv der jüdischen Tradition: die beiden Steintafeln mit den zehn
Geboten, die Gott Moses auf dem Berg Sinai gegeben hat. Die Gesetze
sind ein Zeichen des Bundes zwischen Gott und seinem Volk, die Tafeln
somit ein Sinnbild dieser Verbindung.