Die jüdische
Gemeinde ließ 1853/54 ein neues Gebäude für den Elementar-
und Religionsunterricht bauen, das zugleich den Zugang zu der dahinter
gelegenen Synagoge auf dem gleichen Grundstück bildete. Ab 1913 wurde
die Schule nur noch für den Religionsunterricht genutzt. Mit zwei
hauptamtlichen Lehrkräften für bis zu 70 SchülerInnen war
sie im 19. Jahrhundert zeitweilig die größte jüdische
Schule in ganz Niederhessen.
Die ortsansässigen Juden unterschieden sich in ihren Ansichten und Meinungen kaum von ihren Mitbürgern. So bescheinigt das Rotenburger Tageblatt, dass in den Reden jüdischer Mitbürger anlässlich der Einweihung der renovierten Synagoge 1924 neben „religiöser, alttestamentlicher Grundstimmung“ auch ein „tiefes Heimatgefühl“ und „Liebe zum Vaterland“ zum Ausdruck gebracht wurden. Anwesend waren Vertreter des öffentlichen Lebens vom Landrat, dem Schulrat, dem Bürgermeister bis hin zur evangelischen Pfarrerschaft. Alle Festredner betonten das gute Miteinander der verschiedenen Konfessionen in Rotenburg. Die volle Gleichstellung und Integration der Juden schien erreicht. Die jüdische Bevölkerung konnte sich als geachteter Bestandteil der Rotenburger Bürgerschaft betrachten.
![]() Das hier abgebildete Modell der Rotenburger Synagoge (im Maßstab 1: 10) vereinigt Elemente aus verschiedenen „postmodernen“ Rekonstruktionsvorschlägen, die von Schülerinnen und Schülern der Jakob-Grimm-Schule gemacht wurden. Das Modell entstand im Schuljahr 1996/97 im Grundkurs Architektur, den unsere verstorbene Kunsterzieherin Miriam Schaub leitete. Das Modell, gebaut von den Zwillingsschwestern Bierschenk aus Bebra-Breitenbach, vereinigt Elemente aus verschiedenen „post-modernen“ Rekonstruktionsvorschlägen der Kursteilnehmer. Die Umsetzung der Vorschläge in ein maßstabgerechtes Modell im Frühjahr 1998 brachte die 1996/97 gebildete ARBEITSGRUPPE SPURENSUCHE auf den Gedanken einer Dauerausstellung zur Tradition jüdischen Lebens in der Region. Mit der Einrichtung der Geschichtswerkstatt auf dem Dachboden der Jakob-Grimm-Schule (siehe Nr. 22 unseres Rundgangs) konnte dieses Vorhaben im Jahr 2002 realisiert werden. Zu 100 Talern
Strafe wird die Rotenburger Judenschaft am 20. August 1739 von
der landgräflichen Administration in Kassel wegen des nicht
genehmigten Baus der Synagoge in der Brotgasse verurteilt: „weil
sie mit Vorbeygehung (=Umgehung) des Summi Episcopi (=des
Obersten Bischofs, d. h. des Landesherrn) eine besondere Schuhle oder
Synagoge zu erbauen sich unterstanden“. Die Thora-Rolle aus der Rotenburger Synagoge wurde während der antijüdischen Ausschreitungen im November 1938 schwer beschädigt. Sie befindet sich mit anderen sakralen Gegenständen im Magazin des Kreisheimatmuseums. Weil sie entweiht wurde, verzichtete später der Landesverband der Jüdischen Gemeinden Hessens auf deren Übergabe.
Einige Häuser
weiter auf der gegenüberliegenden Straßenseite (in Richtung
Steinweg) stoßen wir auf das Haus Brotgasse 6, in dem bis 1939 die
Schlosserfamilie Gans wohnte. Coppel Gans war 1882 einer der neun Gründer
der Freiwilligen Feuerwehr. Zehn der insges. 58 Mitglieder der Freiwilligen
Feuerwehr im Gründungsjahr 1882 waren Juden. Willy Gans, der Sohn
von Coppel Gans, war bis zur NS-Machtergreifung Gerätewart in der
Freiwilligen Feuerwehr und avancierte zum Adjutanten von Feuerwehrhauptmann
Karl-Adolf Schnell.
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