Bis 1934 lebte hier die Familie Katzenstein. Auf dem Foto sehen wir die Tochter von Ester Katzenstein, Prof. Barbara Einhorn (frisch verheiratet mit Dr. Paul Östreicher), beim Besuch in Rotenburg im Juni 2002 vor dem Haus ihrer Vorfahren.

Die Mitte des 19. Jahrhunderts aus Heinebach zugezogenen Katzensteins handelten mit Altwaren. Siegfried Katzenstein, der Sohn des Firmengründers Salomon Katzenstein, wurde 1919 in die Stadtverordnetenversammlung gewählt, 1924 in den Magistrat. Bei den ersten NS-Massenausschreitungen am 1. April 1933 wurde Siegfied K. schwer misshandelt. Im Rückblick seiner Tochter Ruth: ”Sie haben den Vater rausgeholt, auf den Misthaufen geworfen und haben ihn halbtot geschlagen.”


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Ruth entging 1942 der Deportation in ein Vernichtungslager durch eine eidesstattliche Erklärung ihrer (nichtjüdischen) Mutter, dass Siegfried K. nicht der leibliche Vater seiner Tochter sei. Durch richterlichen Entscheid (”weist keine kennzeichnend jüdischen Rassemerkmale auf”) wurde Ruth zur ”Arierin” erhoben. In einem "Komplott" mit ihrer Mutter und deren Verwandten in Erfurt verschaffte sich Ruth im Juli 1942 den Nachweis "rein arischer" Abstammung und rettete sich so vor dem Abtransport in eines der Vernichtungslager: Ihre "arische" Mutter Wilhelmine gab am 10. Juli 1942 die eidesstattliche Erklärung ab, nicht ihr Ehemann Siegfried Katzenstein, sondern der inzwischen verstorbene Vetter Max Grimmer aus Erfurt sei der leibliche Vater ihrer Tochter Ruth. Daraufhin erklärte das Landgericht Berlin am 17. August 1942 ihre Tochter Ruth zur „reinrassigen“ Deutschen, und zwar auf der Grundlage des Gutachtens der „Poliklinik für Erb- und Rassenpflege in Berlin-Charlottenburg":
1. Der Prüfling weist keine kennzeichnend jüdischen Rassemerkmale auf.
2. Nach dem Erscheinungsbild des Prüflings ist nicht anzunehmen, daß er von seinem gesetzlichen Vater abstammt.
3. Es ist vielmehr anzunehmen, daß der Prüfling von einem Mann deutschen oder artverwandten Blutes (in vorliegendem Fall ist an Grimmer zu denken) erzeugt worden ist.


Das Schicksal von Ruth Gütslaff-Katzenstein ist in dem Buch von Wolfgang Herzberg ausführlich dargestellt.

Die Familie Katzenstein war in den 1860er Jahren aus dem benachbarten Heinebach nach Rotenburg gekommen. Über Siegfried Katzensteins Bruder Moritz lesen wir in dem 1932 erschienenen „Biographischen Lexikon hervorragender Ärzte":
Moritz Katzenstein, geb. 14.8.1872 in Rotenburg a. d. F., gest. 25.3.1932 in Berlin, Studium in Freiburg u. München (dort 1895 Promotion). Weitere Ausbildung unter Professor James Israel am jüdischen Krankenhaus in Berlin. Er habilitierte sich 1911 in Berlin für Chirurgie, 1913 Ernennung zum außerordentlichen, 1921 zum ordentlichen Professor für Chirurgie. Gleichzeitig war er Direktor am Krankenhaus Friedrichshain. Wissenschaftlich beschäftigte er sich hauptsächlich mit experimenteller Chirurgie. Seine Arbeiten betreffen den arteriellen Kollateralkreislauf, die Funktionsprüfung des Herzens (Katzenstein'sche Methode), die Entstehung des Magengeschwürs und der Pseudarthrose, die Kryptorchismusoperation, die Elastizität und Neubildung der Gelenkbänder sowie die Gewebsimmunität. Für den Ergänzungsband des "Handbuchs der experimentellen Therapie (München 1931) schrieb er das Kapitel „Die Verwertung von lokalen Immunitätsvorgängen in der Chirurgie".
Ganz ungewöhnlich an seiner Karriere als Mediziner ist der medizinische Bereich, in dem er seine Meriten erwarb. Die Chirurgie als klassischer Bereich der Medizin war seinerzeit nämlich so gut wie ausnahmslos in Händen arischer „Seilschaften". Jüdischen Medizinern standen in der Regel nur in den neueren Spezialfächern wie Mikrobiologie, Dermatologie und Psychiatrie die Karrierewege offen, weil diese im Unterschied etwa zur Chirurgie nicht so stark der Kontrolle durch das medizinische Establishment unterlagen.


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In dem Haus Im Zwickel 13 hatte in den 1870 Jahren der Obergerichtsanwalt Moses Berlein seine Kanzlei.
Der aus Marburg stammende Moses Berlein gehörte zu den Rotenburger Honoratioren, die 1872 für würdig befunden wurden, mit ihrem Namen für die „Kaiser-Wilhelms-Stiftung“ zu werben. 1844 war Moses Berlein in Rotenburg als einer der ersten 40 jüdischen Anwälte in Deutschland zugelassen worden. Er trug den Titel eines „Obergerichtsanwalts“. 1848 hatte er sich heftigsten Anfeindungen seiner Rotenburger Berufskollegen ausgesetzt gesehen. Sein Sohn Julius machte der Stadt Rotenburg 1904 von London aus eine großzügige Geldspende von 400 Goldmark zur Einrichtung eines Stadtarchivs. Ein Teil des Geldes wurde 1922 zur Anschaffung von repräsentativem Möbel für das Amtszimmer des Rotenburger Bürgermeisters verwendet.


Moses Berlein und seine Frau Adelheid sind auf dem jüdischen Friedhof in Rotenburg begraben. Obelisken aus Granit schmücken ihre Grabstätten.