Marktplatz 9 / Rothschild
Auf der gegenüberliegenden
Seite, Marktplatz 9, ehem. Wohn- und Geschäftshaus Rothschild.
Joseph Rothschild kam ca. 1870 mit seiner damals –köpfigen Familie
von Weiterode bei Bebra nach Rotenburg. Bis in die NS-Zeit wohnten die Familien
seines Sohnes Isaak und seines Enkels Meinhold in dem Gebäudekomplex Markplatz
9, wo sie eine Frabengroßhandlung betrieben (mit Betriebsgebäuden
auf dem angrenzenden Grundstück in der Badegasse und in der Lindenstraße).
Isaaks Bruder Meier wurde Eigentümer des Hauses Steinweg 24 (siehe dazu
die Station Nr. 14 unseres virtuellen Stadtrundgangs).
Auf dem Foto (ca. 1900) sehen wir (von links) in der 1. Reihe: Isaak Rothschild (1854-1934), Meinhold R. (1897-1985), Gitta R. (1861-1932), Jenny R., verh. Kahn ( 1892- 1976), in der 2. Reihe: Selma R., verh. Weil (1889-1944), Hermann R. (1887-1916), Joseph R. (1893-1916), Recha R., verh. Döllefeld (1895-1943), Albert R. (1886-1961), Caroline R., verh. Weil (1884-1973).
Isaak Rothschild hatte 1882 die aus Rothenkirchen, Kreis Hünfeld, stammende Gitta Nußbaum geehelicht. Vier ihrer acht Kinder starben eines gewaltsamen Todes. Der Lebensweg der 1883 geborenen Selma endete 1944 in Theresienstadt, wo ihr Ehemann Alfred Weil bereits im Vorjahr umgekommen war. Tochter Recha, seit 1925 mit Alexander Döllefeld aus der Querweingasse verheiratet hatte, war zunächst die Flucht nach Holland gelungen. Nach der Besetzung Hollands durch die deutsche Wehrmacht wurden Recha und Alexander Döllefeld am 23. Mai 1943 in das Vernichtungslager Sobibor verschleppt und dort drei Tage später vergast.
Der Tod der beiden Söhne Hermann (geb. 1887) und Joseph (geb. 1893) war zwar ein schmerzvoller Verlust gewesen, zugleich aber hatte deren „Heldentod“ (Todesanzeige für Hermann) als Frontsoldaten die Eltern auch mit Stolz erfüllt, denn er resultierte aus „strengster Pflichterfüllung“ (so in der Todesanzeige für Joseph).
Der Gefreite Hermann Rothschild, gefallen am 24.06.1916, liegt auf dem Soldatenfriedhof Azannes II bei Verdun begraben (Grabnummer 373) – zusammen mit 17 anderen Gefallenen jüdischen Glaubens, der Musketier Joseph Rothschild (Grab Nr. 1398) ist auf dem Soldatenfiredhof Cheppy (bei Verdun) bestattet.Der Gefreite Hermann Rothschild, gefallen am 24.06.1916, liegt auf dem Soldatenfriedhof Azannes II bei Verdun begraben (Grabnummer 373) – zusammen mit 17 anderen Gefallenen jüdischen Glaubens, der Musketier Joseph Rothschild (Grab Nr. 1398) ist auf dem Soldatenfriedhof Cheppy (bei Verdun) bestattet.
Enkelsohn Harry Rothschild, 1996 zum dritten Mal nach Kriegsende zu Besuch in Rotenburg - diesmal als offizieller Gast seiner Heimatstadt - über seinen Großvater Isaak Rothschild: „Er war ein ausgesprochen orthodoxer Jude, meinen Vater dagegen würde ich als konservativ bezeichnen."
Heinz Rothschild und Tochter Karen beim Besuch in Rotenburg
1996.
(Oben mit Bürgermeister Manfred Fehr, unten Stadtarchivarin Angela Pooch
beim Studium von Akten zur Familiengeschichte im Rotenburger Stadtarchiv)
Isaak Rothschild hatte 1882 die aus Rothenkirchen, Kreis Hünfeld, stammende Gitta Nußbaum geehelicht. Vier ihrer acht Kinder starben eines gewaltsamen Todes. Der Lebensweg der 1883 geborenen Selma endete 1944 in Theresienstadt, wo ihr Ehemann Alfred Weil bereits im Vorjahr umgekommen war. Tochter Recha, seit 1925 mit Alexander Döllefeld aus der Querweingasse verheiratet hatte, war zunächst die Flucht nach Holland gelungen. Nachder Besetzung Hollands durch die deutsche Wehrmacht wurden Recha und Alexander Döllefeld am 23. Mai 1943 in das Vernichtungslager Sobibor verschleppt und dort drei Tage später vergast.
Harry
Rothschild erinnert sich an die Boykottaktion jüdischer Geschäfte
am 1. April 1933: „Ich hatte damals Privatunterricht in Französisch
bei einer Lehrerin. Als ich nach Hause kam, war eine große Menschenmenge
auf dem Marktplatz, Julius Gans, der Sohn von Schlosser Coppel Gans und der
Ebbi Kaufmann, der Sohn von Honet Kaufmann, mußten dort ein großes
Transparent herumtragen: „Kauft nicht beim Juden!“ Als ich nach
Hause kam, war meine Mutter ganz aufgeregt, mein Vater war auf Geschäftsreise.
Meine Mutter hat die Koffer gepackt und ist noch am selben Abend mit mir und
meiner Schwester zu den Großeltern in die Schweiz gereist. Als sie dann
nach Deutschland zurück ist, hat sie mich dort gelassen. Ich blieb ein
Jahr bei den Großeltern in Basel. Ich bin dann noch ein Jahr in Rotenburg
in die Volksschule gegangen und dann 1935 als damals 14-jähriger nach
der Schulentlassung zur Lehre nach Frankfurt.
Das letzte Schuljahr 1934&35 in der Rotenburger Volksschule war für
Harry Rothschild und seine jüdischen Schulkameraden eine Zeit, die mit
schlimmen Erinnerungen an seine nichtjüdischen Mitschüler verbunden
ist: „Sie fielen in Gruppen über uns her und schlugen uns zusammen.
Wenn wir uns verteidigten, schlugen sie umso fester auf uns ein. Einige der
Schläger wollten dadurch nachweisen, dass sie keine Judenfreunde waren.
Mein bis dahin bester Freund schlug mich vor den Augen der anderen zusammen,
um zu zeigen, dass auch er ein Judenhasser war. So verwandelte er sich vom
besten Freund zum Hauptfeind. Sein Name ist mir noch gut im Gedächtnis,
aber ich bin hier zu Besuch und nicht, um Streit anzuzetteln. Beim letzten
Klassentreffen vor zwölf Jahren war er auch dabei. Ich hab aber nichts
davon gesagt, sondern hab mir mein Teil gedacht. Ich war in der Klasse von
Rektor Meister. Er war einer der wenigen, die anständig blieben.“
Joseph Rothschild, der 1930 geborene einzige Sohn von Meinhold Rothschild, gehört zu der Gruppe der in der Nazidiktatur geflüchteten Juden, die in ihrer neuen Heimat - in diesem Fall in den USA - trotz des anfänglich gegebenen sprachlichen Handicaps, einen überaus erfolgreichen beruflichen Weg beschritten. Joseph Rothschild lehrte ab 1955 an der renommierten Columbia-Universität in New York als Professor für Politikwissenschaften und osteuropäische Geschichte. Seine zahlreichen Veröffentlichungen gelten als politikwissenschaftliche Standardwerke. In den 1980er Jahren gehörte er zum außenpolitischen Beraterkreis von US-Präsident Jimmy Carter.
Return to Diversity: A Political History of East Central Europe
Since World War II, 1989.
Joseph Rothschilds Hauptwerk “Return to Diversity” erlebte mehrere
Neuauflagen
Joseph Rothschild
starb am 30. 01.2000 als 69-jähriger, seine letzten Lebensjahre waren
von schwerer Krankheit gezeichnet.
In einer Würdigung seines wissenschaftlichen Werkes heißt es: „Ein
hervorstechendes Merkmal seiner Arbeit ist das hingebungsvolle Bestreben nach
dem Verständnis der dunklen Seite des menschlichen Wesens, um auf diese
Weise das Vermächtnis der Aufklärung zu bewahren. Aufgrund dieses
Bemühens haben seine von der Thematik her als detaillierte Regionalstudien
einzustufenden Werke den jeweiligen Gegenstand weit überragende Aussagekraft,
die nicht auf das Fachpublikum beschränkt ist".
Joseph Rothschilds Wertschätzung an seiner akademischen Wirkungsstätte
kommt wohl am besten durch die Tatsache zum Ausdruck, dass ihm zu Ehren ein
Forschungsstipendium ausgelobt wurde.