Als die Juden in der Mitte des 14. Jahrhunderts vielerorts der Brunnenvergiftung beschuldigt und für den Ausbruch der Pest verantwortlich gemacht wurden, bedeutete dies auch für die damals in Rotenburg ansässigen Juden den gewaltsamen Tod oder die Vertreibung. "Zur Zeit des Schwarzen Todes wurden die Rotenburger Juden von der allgemeinen Verfolgung betroffen. Sara von Rotenburg und ihr Sohn, die 1357 in Erfurt Aufnahme fanden, gehörten offenbar zu den Überlebenden”, hält die “Germania Judaica”, das Standardwerk zur Geschichte der Juden auf deutschem Boden, bezüglich Rotenburg an der Fulda fest. (Bd. II, 1968, S. 706)
Nachdem sich 1348 ein Jude im Elsaß auf der Folterbank dazu “bekannt” hatte, einen Brunnen vergiftet zu haben, breitete sich wie ein Flächenbrand über weite Teile Deutschlands in den folgenden Jahren eine antijüdische Vernichtungswelle aus, die 1349 Hersfeld und im Juni 1350 auch das Rotenburg an der Fulda erreichte, zeitgleich mit Marburg/Lahn und Homberg/Efze. Daß nur wenige Juden von der Pestseuche unmittelbar betroffen waren, lag ganz einfach daran, daß sie auf den Rat ihrer Ärzte hörten und weitgehend den Gebrauch des Wassers aus Brunnen und Zisternen mieden. Den Nichtjuden genügte jedoch die Tatsache, daß die Juden nur wenige Pestopfer zu beklagen hatten, diese der Brunnenvergiftung zu verdächtigen und entsprechend zu reagieren. Die Verfolgung und Tötung von Rotenburger Juden in der Pestzeit Mitte des 14. Jahrhunderts wird in einer Ergänzung zum Martyrologium des Nürnberger Memorbuchs dokumentiert. Die Quelle spricht von “Judenbränden”, die in den Jahren 1348 bis 1350 in über 300 Orten in Deutschland wüteten - eine Vernichtungswelle, die in ihrer Intensität erst durch den Holocaust des 20. Jahrhunderts übertroffen wurde. Bei der Suche nach Erklärungen für die gegen die Juden sich entfaltende Massenhysterie in der Mitte des 14. Jahrhunderts wird allgemein die damalige schwere Wirtschaftskrise mit extremen Hungersnöten und dem gleichzeitigen Verfall der kaiserlichen Zentralmacht genannt.
Die dem Inferno jener mittelalterlichen Verfolgungen entkommenen Juden gedachten in den folgenden Jahrhunderten der damaligen Opfer, indem sie diese als Märtyrer ihres Glaubens priesen. An zwei festgelegten Tagen im Jahr würdigten sie die Hingemordeten im Gebet - nach dem Aufruf aller Namen der betroffenen Gemeinden, darunter auch Rotenburg an der Fulda: “Gott möge gedenken der Märtyrer, ... weil sie erschlagen, ertränkt, verbrannt, gerädert, gehenkt, vertilgt, erdrosselt, lebendig begraben und mit allen Todesarten gefoltert worden sind wegen der Heiligung des göttlichen Namens. Dieses Verdienstes wegen möge Gott ihrer mit allen frommen Männern und Frauen im Paradiese zum Guten gedenken. Amen!” Nähere Details zu den Geschehnissen in den einzelnen Orten wurden nicht vermerkt. “Man hielt dies für die zur Andacht bestimmten Listen für überflüssig, denn der gerechte und allwissende Gott, in dessen Tempeln die Namen verlesen wurden, hatte ja selbst die schwere Prüfung verhängt, kannte die Schar seiner Getreuen, hatte ihre Todesangst gesehen, ihre Seufzer und Gebete gehört”, bemerkt dazu der Herausgeber des Martyrologiums. “Unserer großen Sünden wegen” - so deuteten die Überlebenden schon damals ihre Leidensgeschichte. Für sie waren “die Heimsuchungen eine göttliche Strafe für Sünden und letztlich - wie jeder Ratschluß Gottes - unergründbar. Das Martyrium um Gottes willen, um der Befleckung durch die Taufe zu entgehen, war gottgefällig, und auch bei dieser Pogromwelle ist öfter die Tatsache überliefert, die Opfer seien freiwillig in den Tod gegangen oder sie hätten den Freitod der Taufe vorgezogen.” Für die Juden in Europa waren die Vorgänge der Jahre 1348 bis 1350 eine Katastrophe, wußten sie doch nicht, wohin sie gehen sollten. Das gelobte Land Davids gab es nicht mehr, denn da waren die Muslime die neuen Herrscher und verwehrten ihnen die Rückkehr in ihr angestammtes Land. Es blieb ihnen als Folge nur die Flucht. Um den Verfolgungen zu entgehen, flüchtete ein Großteil der Juden aus den deutschen Landen nach Osteuropa, vor allem nach Polen.

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