Im
Bestand 17I (Alte Kasseler Räte) des Marburger Staatsarchivs findet sich
eine 1648 angelegte, wenige Blätter umfassende Akte mit dem Titel Rotenburger
Judenpredigten. Die genannte Akte enthält nun nicht die Aufzeichnungen
rabbinischer Verkündigungen, sondern behandelt behördlich angeordnete
Bekehrungsversuche an den Juden im Raum Hersfeld-Rotenburg in der Mitte des
17. Jahrhunderts. Die nur schwer entzifferbaren Aktentexte sind ein für
die Geschichte der Juden im hiesigen Raum außerordentlich interessantes
und aussagekräftiges Dokument. Aber auch für die Geschichte der Juden
in Deutschland insgesamt ist das hier vorliegende Material von erheblicher Bedeutung.
Ein auf die Juden ausgeübter Zwang, sich christliche Predigten anzuhören,
findet sich schon in der Praxis des christlichen Staates in der Spätantike.1
Zwangspredigten für die in den deutschen Territorien lebenden Juden haben
ebenfalls eine lange Tradition - begründet von dem Franziskanermönch
Capistrano in der Mitte des 15. Jahrhunderts, nachdem sie 1434 auf dem Basler
Konzil ausdrücklich gutgeheißen worden waren. Die Juden wurden
dabei immer mehr den Ketzern und schließlich auch den Hexen angeglichen.Das
von Papst Gregor I. 590 ausgesprochene Verbot, Juden anders als durch Überredung
und Sanftmut zu bekehren, hatte anläßlich der Kreuzzüge dem
barbarischen Motto Tod oder Taufe weichen müssen.
Die Forschung weiß bis heute keine Antwort darauf, warum die in Spanien
und Portugal lebenden Juden sich in erheblicher Zahl dem Taufzwang beugten,
während sich ihre Glaubensgenossen im deutschen Sprachraum zur Heiligung
des göttlichen Namens lieber hinschlachten ließen, als ihrem
Glauben abzuschwören.