Wahlprogramm und Wahlkampfführung der Antisemiten
Zur Beseitigung aller Mißstände bot die Antisemitische Volkspartei ihren Wählern ein 17-Punkte-Programm an, das die wichtigste Forderung der Antisemiten, die Aufhebung der Judenemanzipation und Stellung der Juden unter Fremdengesetze, allerdings nur verklausuliert wiedergab. Offensichtlich wollte man hier gemäßigt antisemitische Konservative durch eine allzu deutliche Sprache nicht abschrecken. In einem Wahlpamphlet aber warf Werner den "alten Parteien" vor, sie wollten "den scharfen Gegensatz nicht anerkennen, der Deutschtum und Judentum scheidet". Und er wurde noch deutlicher: "Wir wollen den Kampf gegen dieses zersetzende Element aufnehmen mit allen gesetzlichen Mitteln, zum Heile des deutschen Vaterlandes, zur Rettung des bedrohten Mittelstandes, zur Wahrung nationaler Art." Die Hilfe, die Werner der Landwirtschaft und dem gewerblichen Mittelstand versprach, bestand aus protektionistischen und interventionistischen Maßnahmen. Seine Forderungen waren: "Schutz der Landwirtschaft gegen ausländische Konkurrenz und Güterschlächterei", "Hebung des Handwerks durch Beseitigung der zügellosen Gewerbefreiheit" und "Erweiterung der Rechte der Handwerker durch Förderung der Handwerkerorganisationen". Werbewirksam waren die Forderungen nach stärkerer Besteuerung der Reichen und Spekulanten durch progressive Einkommensteuern, die Propagierung von Erbschaftssteuern und Luxussteuern und vor allem das Versprechen einer Reform der Börsensteuern, da man die Börse von Juden beherrscht glaubte. Das antisemitische Wahlprogramm wandte sich aber nicht nur gegen das Großkapital, sondern auch gegen den Großgrundbesitz. Werner berücksichtigte ebenso wie Böckel die Anliegen der Arbeiterschaft, der er zwar keine Lohnverbesserungen, aber immerhin den Maximalarbeitstag und Arbeiterschutzgesetze versprach. Die Arbeiterbevökerung stand jedoch nach den Feststellungen des "Vereins zur Abwehr des Antisemitismus" der antisemitischen Bewegung mit wenigen Ausnahmen feindlich gegenüber. Auf verfassungspolitischem Gebiet verwandte sich Werner wie die Liberalen für Freiheit in Rede und Schrift, Versammlungs- und Vereinsfreiheit sowie für die Ausdehnung des Reichstagswahlrechts auf die Landtagswahlen. Der Antisemitismus artikulierte sich direkt in Punkt 12 seines Programms: "Nur christlich-deutsche Männer (nicht-jüdischer Abkunft) dürfen in gesetzgebende Körperschaften gewählt und in Staats- und Gemeindeämter berufen werden." Die Antisemiten verstanden es, die aktuellen Hauptforderungen der Mehrheit der Wähler in ihre Agitation geschickt einzubetten. Dabei war es von nebensächlicher Bedeutung, daß das antisemitische Programm offensichtlich von dem Bes treben diktiert war, jedem etwas zu geben. Ausgehend von der Parole "Die Judenfrage ist der Kernpunkt der sozialen Frage" sprach Werner die zahlenmäßig stärksten Berufsgruppen des Wahlkreises mit Parolen an, für die sie aufgrund ihrer ökonomischen Situation und des Standes ihrer politischen Bildung empfänglich sein mußten. Das "subversive Wesen" des Juden wurde in der antisemitischen Agitation mit einem idealisierten Bild des Deutschen kontrastiert, der, mit allen patriotischen und romantischen Zügen ausgestattet, der christlichen Mehrheit eindringlich vor Augen führte, welch erhabene Werte es gegen die jüdische "Verderbung" zu schützen gelte.
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