Die organisatorische Durchdringung des Kreises Hersfeld durch den Nationalsozialismus
Bis zur Agitation für das Volksbegehren zum "Freiheitsgesetz" im Herbst 1929 war das Betätigungsfeld der Nationalsozialisten im Kreis Hersfeld auf das Landecker Amt beschränkt. In Schenklengsfeld, dem Hauptort dieses Amtes, war die 1925 gegründete NSDAP-Ortsgruppe eine Weiterführung des 1923 gegründeten Bundes Oberland. Ihr Vorsitzender Walter Seidler hatte - wie bereits dargestellt - eine führende Position im agrarpolitischen Apparat der kurhessischen NSDAP. Ihre bis Anfang 1930 ca. 50 Mitglieder rekrutierten sich aus Schenklengsfeld und den benachbarten Gemeinden Wehrshausen, Hilmes, Oberlengsfeld, Wüstfeld, Konrode und Landershausen. Ein Zentrum nationalsozialistischer Agitation war das Amtsgericht in Schenklengsfeld, dessen Beamte und Angestellte sich offen zum Nationalsozialismus bekannten. Dem 1929 in den Kreistag gewählten Justizobersekretär Breitstedt mußten schließlich die Geschäfte als Amtsanwalt entzogen werden, nachdem er einen jüdischen Bürger öffentlich geohrfeigt hatte. Wegen dieses Vergehens wurde der Beamte im Juni 1930 zu 50 RM Geldstrafe verurteilt (Körperverletzung in Tateinheit mit öffentlicher Beleidigung).
Die Amtsenthebung Breitstedts hatte Protestresolutionen des Ortsbauernvereins und des Handwerksvereins sowie des Kreisbauernverbandsvorsitzenden zur Folge, in denen sich ein tiefverwurzelter Antisemitismus äußerte: "Wir nehmen an, daß von jener jüdischen Seite darauf hingearbeitet wird, die Zustände herbeizuführen, wie sie unsere Väter und Großväter erlebt haben, die durch Wuchergeschäfte einer gewissen Volksschicht von Haus und Hof vertrieben worden sind."
Anfang 1930 entstanden im Kreis Hersfeld drei weitere NSDAP-Ortsgruppen, und zwar in Hersfeld, Hattenbach und Ausbach. Die Hersfelder Ortsgruppe wurde am 14. Januar 1930 von 17 Personen gegründet, die den Gutspächter Eschstruth zum Vorsitzenden wählten, der zu Beginn der 20er Jahre dem Jungdeutschen Orden angehört hatte und 1929 als Vertreter der NSDAP in den Kreisausschuß gekommen war. Drei Monate nach der Gründung war die Ortsgruppe auf 48 Mitglieder angewachsen. Neuer Führer wurde der Rentner Ernst Hesse, der im Juli 1931 von dem Futtermittelhändler Volkmar abgelöst wurde. Die am 2. 2. 1930 gegründete Ortsgruppe Ausbach zählte in den ersten Monaten 15 bis 17 Mitglieder. Vorsitzender war zunächst der Büroangestellte Georg Riebold, ab Mai 1930 der Bergmann Wilhelm Brodbeck. Die 14 Mitglieder starke Ortsgruppe Hattenbach wurde von Dipl.-Landwirt Karl Patry geführt. Die Vorsitzenden der vier Ortsgruppen des Jahres 1930 waren sämtlich unter 35 Jahre. Bis zu den Septemberwahlen 1930 blieb es bei den genannten vier Ortsgruppen mit (9.7.30) insgesamt 129 Mitgliedern. Daneben zählte die NSDAP in vielen Gemeinden eine Reihe von Einzelmitgliedern. Außerdem gab es im Kreisgebiet mehrere NSDAP-Stützpunkte. Im Vergleich zu dem benachbarten Kreis Rotenburg taten sich die Nationalsozialisten im Kreis Hersfeld zunächst jedoch recht schwer. Im Kreis Rotenburg existierten vor den Septemberwahlen 1930 bereits elf Ortsgruppen mit insgesamt 335 Mitgliedern. Der einen SA-Einheit in Hersfeld (Sturm 75) standen 1930 23 SA-Einheiten im Kreis Rotenburg gegenüber. Den organisatorischen Vorsprung der Nationalsozialisten im Nachbarkreis Rotenburg holten die Hersfelder Parteigänger aber bald auf. Bei der Neugliederung der SA im Jahre 1932 erhielt der Westteil des Kreises Hersfeld zusammen mit der Kreisstadt einen eigenen Sturmbann (III, 167), während der Kreis Rotenburg von nun an mit dem Ostteil des Kreises Hersfeld einen Sturmbann (I, 167) bildete.

Die Mitgliederzahlen der NSDAP im Kreis Hersfeld bis zur Machtergreifung:
Sommer 1930 ca. 150 Mitglieder, davon 129 in den 4 Ortsgruppen,
Ende 1930 ca. 250 Mitglieder, davon 214 in den 7 Ortsgruppen,
Ende 1931 ca. 400 Mitglieder,
Ende 1932 ca. 500 Mitglieder.

Eine sozialstatistische Aufgliederung der bis Jahresende 1932 in die NSDAP Eingetretenen ergab folgendes Bild:
Tabelle 52
Die Tabelle 52 läßt den relativ hohen Anteil der mittelständischen bzw. kleinbürgerlichen Sozial- und Berufsgruppen erkennbar werden. Handwerker, Landwirte und Angestellte machten 52,6 Prozent der Parteimitgliedschaft aus. Die NSDAP konnte also auch im Kreis Hersfeld "die Panik im Mittelstand in profaschistisches Handeln ... transportieren".
Die Quote der NSDAP-Mitglieder unter der Arbeiterschaft des Kreises Hersfeld lag mit 0,9 Prozent noch unter den Werten für die industriellen Ballungsgebiete, wo 1,5% der Arbeiter vor der Machtergreifung der NSDAP angehörten. Als Hauptursache für die schlechte Resonanz der NSDAP in der Arbeiterschaft des Raumes Hersfeld kann der für ein ländliches Gebiet sehr hohe Anteil der Industriebeschäftigten und die damit in Zusammenhang stehende sozialdemokratische und gewerkschaftliche Organisationsdichte angesehen werden.

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ehem. Amtsgericht in der jetzigen Nutzung als Bürgermeisteramt
 
Das Amtsgericht Schenklengsfeld: ein Ort früher nationalsozialistischer Umtriebe
 
       
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