„Das
kann ich nicht loslassen"
Das
Schicksal der Juden erforschen - das ist Heinrich Nuhns Lebensaufgabe
Von
Vera Walger
ROTENBURG. Es ist nicht einfach, Heinrich Nuhn dazu zu
bewegen, über sich selber zu sprechen. „Ich bin nicht wichtig,
die Inhalte sind wichtig", sagt er. Klein wirkt der 65-Jährige,
wie er da in seinem Arbeitszimmer sitzt, einer umgebauten Garage. Was
nicht an seiner Körpergröße liegt, sondern an den Büchern,
Akten, Kisten und Computern, die ihn von allen Seiten umgeben. Das Arbeitszimmer
reicht längst nicht mehr aus. Jeder freie Zentimeter, auch der Dachboden,
wird bei den Nuhns genutzt für geschichtliche Materialien. Die historische
Forschung ist die große Leidenschaft des frisch pensionierten Lehrers.
Gemeinsam mit Schülern dokumentiert er seit Jahren das Schicksal
der Juden in der Region. Eine Menge hochkarätiger Preise hat seine
Arbeitsgemeinschaft Spurensuche gewonnen. Heinrich Nuhn selbst wurde zur
Verabschiedung aus dem Schuldienst das Bundesverdienstkreuz verliehen.
Verabschiedung bedeutet nicht, dass Nuhn an der Jakob-Grimm-Schule nicht
mehr tätig ist. Die AG Spurensuche betreut er weiter, und er denkt
gar nicht ans Aufhören. „Das kann ich gar nicht loslassen",
sagt er. Vor allem die Reaktion der Nachfahren der Juden, die einst hier
gelebt haben, Sind sein Antrieb. "Die sind ganz aus dem Häuschen",
erzählt er. Das Schicksal dieser Minderheit würdigen will er,
solange er „noch Schaffenskraft“ hat. Eher beiläufig
gibt er etwas preis von dem Menschen Heinrich Nuhn. Ein „Junge vom
Dorf“ sei er gewesen, „ohne eigentlichen Bildungshintergrund".
Etwas Besonderes war es, dass er, der Elektrikersohn aus Niederaula, an
der Klosterschule in Bad Hersfeld 1958 Abitur machte.
Die Schule war sehr wichtig für ihn, obgleich er sich ein wenig als
Außenseiter empfand. Besonders, eigenwillig sein - das ist etwas,
das Heinrich Nuhn immer wollte. Dass er lieber dicke Bücher las als
Hasenfutter zu holen, stieß in Niederaula auf Unverständnis.
Gleichzeitig war er immer auf der Suche nach Wegefährten, zum Beispiel,
als er sich als Student in Marburg politisch engagierte. „Paradox“,
meinte er. Lehrer wurde er aus Überzeugung. Englisch und Deutsch
waren seine Fächer. Zusätzlich studierte Heinrich Nuhn Politikwissenschaft
und Zeitgeschichte. Seine Promotion über Parteien in der Region schloss
er erst ab, „als ich schon 50 war" , wie er lächelnd feststellt.
In der Doktorarbeit hat er sich auch mit Antisemitismus beschäftigt.
Allerdings anders, als er das heute tut. „ Mehr mit dem Kopf.“
Unterrichten, Tennis spielen mit den Kindern Claudia und Ralf, sich als
Übungsleiter engagieren- das bestimmte einige Jahre lang Heinrich
Nuhns Alltag
. Die geschichtliche Forschung hatte er nur noch im Hinterkopf. Bis Anfang
der 90er Jahre alles ins Rollen kam.
Ein Buch, das das Leiden der Juden verharmloste, sei der Auslöser
gewesen. „Ich fühlte mich herausgefordert", erklärt
Heinrich Nuhn. Und fügt hinzu: „Man fragt sich natürlich
hinterher: Hätte ich gewusst, was ich mir damit alles einbrocke..."
Seinen Tennisschläger hat er danach jedenfalls so .gut wie nie .mehr
angefasst.Ein Herzinfarkt zeigte ihm 1995 deutlich,dass er sich viel zugemutet
hat
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