Was
die „Judeneiche" belauschte
Aus der Sicht eines Baumes beschreibt ein von Rotenburger Schülern
und Lehrern geschriebenes Buch jüdisches Leben
Von
Joachim F. Tornau
Seit knapp zehn Jahren erforschen Schüler und Lehrer aus Rotenburg
an der Fulda die Geschichte der Juden in der Region. Die Ergebnisse
präsentieren sie auf unkonventionelle Weise. Im jüngsten
Projekt lassen sie einen 300 Jahre alten Baum erzählen, der
am ehemaligen jüdischen Handelsweg steht. Das fiktive Tagebuch
der " Judeneiche" ist jetzt als Buch erschienen.
ROTENBURG.
Rhina ist ein kleines Dörfchen, knapp fünfzehn Kilometer
südlich von Bad Hersfeld und nicht besonders auffällig.
Doch noch vor gut hundert war es etwas sehr Besonderes: Nirgends
sonst in Preußen gab es einen Ort, in dem die Juden wie hier
die Mehrheit an der Bevölkerung stellten. Am I.Dezember 1875
wurden in dem Dorf 337 Juden und nur 263 Christen gezählt.
Es gab spezielle Wege, die die Juden benutzen mussten für den
Viehtrieb, für Handelsreisen oder um Tote zu einem weit entfernten
Friedhof zu überführen. Noch heute trägt deshalb
ein alter knorriger Baum, der an einem dieser Pfade aufragt, im
Volksmund den Namen „Judeneiche".
Um die Geschichte der Rhinaer Juden aufzubereiten und vor allem
jungen Menschen nahe zu bringen, wählte die Arbeitsgruppe Spurensuche
der Jacob-Grimm-Ge-samtschule in Rotenburg die Perspektive dieser
Eiche. „Die Idee war, die Geschichte des Baumes zu erzählen",
erklärt die 18-jährige Julia Sangmeister. „Die Tagebuchform
hat uns erlaubt, eigene Gedanken mit hineinzubringen und wir hatten
damit eine gewisse dichterische Freiheit." Wenn die Eiche von
Gesprächen berichtet, die sie unter ihrer Krone belauscht hat,
mag das frei erfunden sein. Was sie dabei aufgeschnappt hat, ist
jedoch historisch belegt - ob es nun um den Bau der Synagoge geht,
um die gerade in dieser Region besonders heftigen antijüdischen
Pogrome während der 1848er-Revolution oder um das gewaltsame
Ende der jüdischen Gemeinde im Jahre 1939. Im vergangenen Jahr
gewann die AG Spurensuche mit dieser Arbeit den ersten Preis im
Wettbewerb der Hessischen Akademie Ländlicher Raum (HAL). Das
Werk ist nun nicht nur als Buch erschienen, sondern gleichzeitig
im Internet unter www.ag-spurensuche.de zu finden. Denn wie Lehrer
Heinrich Nuhn, der die Arbeitsgruppe vor knapp zehn Jahren ins Leben
gerufen hat, erläutert, geht es den Spurensuchern vor allem
um die multimediale Aufbereitung ihrer Erkenntnisse. So erschien
etwa bereits 1999 eine CD-ROM über Rotenburg als „Schauplatz
antijüdischer Exzesse" in der Märzrevolution 1848.
„Die Spurensuche ist mittlerweile so etwas wie ein Rotenburger
Markenartikel geworden", freut sich Nuhn.
• Heinrich Nuhn (Hg.): Die Judeneiche. Rotenburg a. d. Fulda
2003. 95 Seiten, 8,90 Euro (ISBN 3-933734-07-X).
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