Jüdische Stiftung zeichnet Historiker aus

Der ehemalige Lehrer Heinrich Nuhn ist seit Jahren mit Schülern auf Spurensuche jüdischen Lebens in Rotenburg
Der Historiker Heinrich Nuhn hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, die Geschichte der Juden in Rotenburg an der Fulda zu erforschen. Für diese Spurensuche hat er einen Preis der renommierten jüdischen Obermayer-Stiftung aus den USA erhalten.
VON JAN KUHLMANN (DPA)

Rotenburg · 28. Februar · Als mit den Nazis der Tod kam, war die Liste der jüdischen Namen lang: Die Katzensteins, Oppenheims und Rothschilds hatten seit Jahrhunderten in Rotenburg an der Fulda gelebt und die Stadt mit den Fachwerkhäusern geprägt. Zwölf Jahre NS-Herrschaft löschten jede Spur aus. Wer der Vernichtung entging, flüchtete ins Ausland. Dass die jüdischen Familien nicht vergessen sind, haben sie dem ehemaligen Lehrer Heinrich Nuhn zu verdanken.

Dafür wurde er jetzt mit dem "German-Jewish History Award" ausgezeichnet. Eine Auszeichnung für Nicht-Juden, die sich um jüdische Geschichte und Kultur verdient gemacht haben. Dank seines Engagements sei die jüdische Vergangenheit Rotenburgs heute gut bekannt und weitgehend akzeptiert in der Stadt, heißt es in der Begründung des mit 1000 Euro dotierten Preises.

Die ehemalige Garage seines Hauses in Rotenburg hat der 66 Jahre alte Historiker in sein Büro und Archiv umgewandelt. Jeder Winkel ist gefüllt mit Literatur und Quellen über die Geschichte der Juden, deren Erforschung er sich zur Lebensaufgabe gemacht hat. "Es klingt zwar etwas anmaßend, aber es ist eine Art Wiedergutmachung", sagt der pensionierte Lehrer für Englisch und Deutsch, der in Geschichte promoviert hat. "Ich habe mich schon immer für Außenseiter und Minderheiten interessiert." Als Anfang der 90er Jahre die Nazi-Vergangenheit Rotenburgs in einem Buch verharmlost wurde, fühlte sich Nuhn herausgefordert.

Seitdem ist er mit Leidenschaft bei der Sache. "Entweder ich mache etwas gar nicht oder sehr hartnäckig", sagt er. Monate verbrachte er in Archiven in Kassel, Wiesbaden und Frankfurt, um alte Akten aufzustöbern, zu lesen und auszuwerten. "Das gibt mir sehr viel", sagt Nuhn. "Ich kann mir nicht vorstellen, daran nicht mehr weiterzuarbeiten."

Seit dem Mittelalter lebten Juden in Rotenburg, die einst zehn Prozent der Bevölkerung ausmachten. Bei Hitlers Machtübernahme 1933 waren dort rund 140 jüdische Familien gemeldet, recherchierte Nuhn - und räumte mit dem Mythos auf, Rotenburg sei von den Nazi-Verbrechen verschont worden.

Er fand heraus, dass der Mob in Kurhessen schon kurz vor der "Reichspogromnacht" am 9. November 1938 über die Juden herfiel und das Unheil dort einen seiner Ausgangspunkte hatte.

Für das Wühlen in den schmutzigen Ecken der Vergangenheit konnte Nuhn Schülerinnen und Schüler der Rotenburger Jakob-Grimm-Schule gewinnen, wo er bis zur Pensionierung unterrichtete. Mit ihnen rief er die "AG Spurensuche" ins Leben. Gemeinsam konzipierten sie Ausstellungen und veröffentlichten Bücher sowie CD-Roms. In dem fiktiven Tagebuch "Judeneiche" lassen sie etwa einen 300 Jahre alten Baum die Geschichte der Juden in dem Dörfchen Rhina erzählen. Für eine Internet-Stadtrundgang durch das jüdische Rotenburg erhielten die Schüler eine Auszeichnung des Bundes.Auch Heinrich Nuhn wird noch einen weiteren Lohn für seine Arbeit bekommen. Die Stadt baut das ehemalige jüdische Ritualbad Rotenburgs- die Mikwe - in eine Gedenkstätte um. "Die Geschichte der Juden gehört zur Geschichte der Stadt", sagt Bürgermeister Manfred Fehr (SPD). Archäologen hatten in dem Fachwerkhaus sogar Reste eines Ritualbads aus dem Mittelalter entdeckt. Dass in dem Gebäude einst eine Mikwe war, hatten erst Nuhns Forschungen wieder in Erinnerung gerufen.

http://www.ag-spurensuche.de/;http://www.mikwe.de/