Ein Lehrstückin Sachen Menschlichkeit

NIEDERAULA „Geschichte wirkt weiter." Diese Erfahrung hat Pfarrer Stefan Remmert, der für die Buchpräsentation das evangelische Gemeindehaus zur Verfügung stellte, in seinem eigenen Leben gemacht. Nicht zuletzt die Berichte von Großvater und Großtante, die während des Dritten Reiches im Widerstand aktiv waren, bewegten ihn dazu. Theologie zu studieren
Als Termin für ihre Buchpräsentation hat die AG Spurensuche. darauf machte Friedhelm Großkurth. der Schulleiter der Jakob-Grimm-Schule Rotenburg aufmerksam, ganz bewusst den 9. Mai gewählt zum Gedenken an die Bücherverbrennungen der Nationalsozialisten, die am 10. Mai 1933 stattfanden. „Die Schule fühlt sich verpflichtet, Beiträge zur öffentlichen Bewußtseinsbildung zu liefern", betonte Großkurth.
Als „Lehrstück in Sachen Menschlichkeit" würdigte die Erste Kreisbeigeordnete Christa Bittner die Arbeit der AG Spurensuche und ermutigte nicht nur die Schülerinnen und Schüler, sondern auch ihren kurz vor dem Ruhestand stehenden Lehrer Dr. Heinrich Nuhn weiterhin nach neuen Wegen zu diesem Ziel zu suchen.


Leseprobe aus „Die Judeneiche":

IM NOVEMBER 1927: „In diesem Herbst ist es schon früh kalt geworden. Das merke ich nicht nur daran, dass meine Blätter eher als sonst fallen. Solange es noch warm genug ist, verbinden die Handelsmänner aus Rhina nämlich ihren Aufenthalt unter meinem Blätterdach meist mit einer Mahlzeit. Sich haben sich vor Jahr und Tag sogar einen Tisch mit zwei Bänken für diesen Zweck gezimmert. Wenn es draußen kälter wird. ziehen sie aber eine warme Stube vor.
Die finden sie im Gasthaus Völker in Kerspenhausen, bei Völkers Margarethe. Dort fühlen sie sich so wohl wie kaum irgendwo sonst. Ob es nur Geschäftstüchtigkeit ist? Auf jeden Fall hat das Gretchen eigens für ihre jüdischen Gaste eine Bratpfanne besorgt. So kann sie ihnen koschere Speisen zubereiten. Das finden ihre Rhinaer Gäste natürlich wunderbar. Wenn ihr Weg sie über Kerspenhausen führt, brauchen sie sich nämlich keine Gedanken um die Einhaltung ihrer Speisevorschriften zu machen. Damit die Pfanne wirklich koscher bleibt, kritzeln sie, bevor sie gehen, mit Kreide hebräische Schriftzeichen in die Pfanne. Aber das stört das Gretchen, so hörte ich neulich,überhaupt nicht. Sie respektiert die Lebensweisen und religiösen Vorstellungen anderer und weiß, dass alles seine Ordnung haben muss. Wie sollte sie auch sonst mit ihrer Arbeit und all ihren vielen Aufgaben klarkommen? Ihr Ehemann starb schon vor Jahren an den Folgen einer Kriegsverletzung. Neben Landwirtschaft und Gastwirtschaft hat sich das Gretchen auch noch um die Poststelle zu kümmern. Toll, dass sie da noch die Zeit und Kraft für den besonderen Aufwand für ihre jüdischen Gäste findet!"


Wenn ein Baum erzählen könnte
Arbeitsgruppe Spurensuche stellte ihr fiktives Tagebuch der Judeneiche vor

Von Christine Zacharias
NIEDERAULA. Was könnte einer erzählen, der 300 Jahre erlebt hat, das Kommen und Gehen verschiedener Herrscher, politische und gesellschaftliche Entwicklungen und mehrere Kriege? Die Arbeitsgruppe Spurensuche der Jakob-Grimm-Schule Rotenburg hat aus so einer Überlegung heraus ein Buch gestaltet, das gestern in Kerspenhausen vorgestellt wurde.
Heldin und fiktive Schreiberin des Buches ist die Judeneiche, ein mindestens 300 Jahre alter Baum, der auf der Anhöhe zwischen Kerspenhausen und Holzheim direkt am ehemaligen Handelsweg der Rhinaer Juden steht. Die Juden, so erklärt Dr. Heinrich Nuhn, Initiator und Mentor der jungen Spurensucher, benutzten oft eigene Wege für ihre Reisen, abseits von denen der christlichen. Die Judenelche: Noch heute steht die Judeneiche, die den Einband des Buches schmückt, auf der Anhöhe oberhalb von Kerspenhausen.
Die Eiche oberhalb von Kerspenhausen eignete sich nicht nur sehr gut schattiger Rastplatz mit herrlicher Aussicht, sondern auch als Treffpunkt für Händler und Bauern. Noch heute heißt der Baum Judeneiche. :.
Die Mädchen und Jungen der Arbeitsgruppe Spurensüche schrieben ein fiktives Tagebuch der Judeneiche. Der alte Baum erzählt von Blitzschlag und Unwetter, von fröhlichen Festen in den Dörfern, von großen Ereignissen, wie zum Beispiel der Grundsteinlegung der Rhinaer Synagoge, aber vor altern auch von den Sorgen und Nöten der Menschen, die ihm anvertraut wurden,
Rhina war der einzige Ort in Preußen mit einer jüdischen Bevölkerungsmehrheit. Jahrhundertelang haben Christen und Juden in Rhina relativ, friedlich zusammengelebt, doch der von den Nationalsozialisten geschürte Antisemitismus beendete diese Gemeinschaft durch die Deportation und Ermordung all der Juden, die nicht rechtzeitig auswandern konnten. Die hier in Tagebuchform gestaltete Geschichte der Rhinaer Juden stützt sich hauptsächlich auf das 1979 erschienene Reisetagebuch „Die mit Tränen säen" von Peter und Renate Chotjewitz, das 1988 unter dem Titel „Die Juden von Rhina" zusammengefasst wurde. Als weitere Quelle verwendeten die Spurensucher das Heft „Rhina - einstmals Brennpunkt jüdischer und christlicher Religion und Lebensart", das von Brunhilde Miehe verfasst wurde.
Mit ihrer Arbeit über die Judeneiche, von Kerspenhausen gewann die AG Spurensuche im vergangenen Jahr den Wettbewerb der Hessischen Ersten Preis Im Wettbewerb gewonnen Akademie ländlicher Raum unter dem Thema „Der Baum - Begleiter des Menschen". Erweitert und ergänzt wurde jetzt ein liebevoll gestaltetes Buch daraus, das gestern in Kerspenhausen präsentiert wurde.
„Die Judeneiche - ein fiktives Tagebuch", ISBN 3-933734-07-X ist zum Preis von 8.90 Euro im Buchhandel sowie in den Zweigstellen Niederaula, Asbach, Neukirchen und Wehrda der Sparkasse Hersfeld-Rotenburg erhaltlich. Erste Eindrücke kann man sich im Internet verschaffen: www.ag-spurensuche.de.