In
seinem Taufgesuch läßt Isaac Kappel aber auch durchblicken, daß
es genauso der berufliche Alltag ist, der ihm das Judesein verleidet. Bezüglich
seiner Mutter und seiner drei Geschwister hält er nämlich fest: Sie
treiben das gewöhnliche Gewerbe der Juden, nämlich den Handel. Ich
aber, ihr ältester Sohn und Bruder von 26 Jahren, der ich diesen nicht
verstehe, sondern mich bis jetzt mit Studieren beschäftigte, kann meiner
inneren Überzeugung gemäß unmöglich unter meinen Glaubensgenossen
glücklich leben, da ich nicht einerlei Meinung in Hinsicht der Religion
mit ihnen hege. Waren es nun in erster Linie irdische Gründe
oder waren es Glaubensnöte, die Isaac Kappel zu seinem Schritt veranlaßten?
Der Kasseler Superintendent entzog sich einer eindeutigen Zuordnung, indem er
sibyllinisch formulierte, daß nur Gott allein urteilen kann.
Mit dem Wunsch, getauft und in der vernünftigen christlichen Religion
unterrichtet zu werden, verband Isaac Kappel die Bitte, dies in Kassel geschehen
zu lassen, weil wenn dieses in meiner Vaterstadt geschehen müßte,
meiner Mutter, Geschwister und Anverwandte ein großes Ärgernis und
Herzbrechen damit verbunden würde. Auch von Heinrich Heine ist der
Wunsch überliefert, daß seine Taufe geheim bleiben möge. Dem
ihn im Juni 1835 in Heiligenstadt taufenden Pastor Grimm gegenüber erklärte
Heine, daß er die bedeutende Unterstützung eines seiner israelitischen
Verwandten verlieren würde, wenn es zu dessen Kenntnis gelangte, daß
er dem Glauben seiner Väter entsagt habe.29
Isaac Kappels Taufbitte war in jeder Hinsicht Erfolg beschieden. Zehn Reichstaler
aus der Staatskasse wurden für das Taufprojekt bewilligt - als Beisteuer
für den Aufenthalt des armen Juden und für dessen Unterricht
in der Landeshauptstadt.
Ob Isaac Kappel mit seiner Konversion auch irdisches Glück beschieden war,
ist wohl mit einem großen Fragezeichen zu versehen. Denn durchweg blieben
die Judenchristen in christlichen Gemeinschaften zeitlebens Spottobjekte
oder argwöhnisch betrachtete Außenseiter, während ihnen bei
ihren ehemaligen Glaubensgenossen der Makel des Verräters anhing, sie dort
fortan gewissermaßen ein Kainsmal zu tragen hatten.
Damit steckte die jüdische Minderheit auch nach Jahrhunderten noch in dem
gleichen Dilemma: Ablehnung der Glaubens- und Wertvorstellungen ihrer christlichen
Umgebung wurde von dieser als Hochmut oder Verstocktheit gegeißelt, die
Fälle von Anpassungsbereitschaft dagegen mit Hohn und Spott überzogen.
So blieb für jüdische Konvertiten auch bis ins 19. Jahrhundert noch
bitter aktuell, was sie im Judenspiegel, einer um 1600 verfaßten
theologischen Streitschrift, hatten lesen können. Dort wird ein Gespräch
zwischen einem Juden, der sich gerade in einer calvinistischen Gemeinde hat
taufen lassen, und einem Teufel wiedergegeben. Auf dessen Frage, warum es denn
ausgerechnet das calvinistische Bekenntnis habe sein müssen, erwidert der
Konvertit, die Glaubenssätze und vielen beschwerlichen Vorschriften der
anderen Konfessionen seien für ihn allzu abschreckend gewesen. Die calvinistische
Glaubensrichtung passe einem Juden dagegen hervorragend, denn hier finde er
genau die vielen Sonderregeln und bösartigen Sitten, wie sie ihm aus der
jüdischen Religion geläufig seien.