Unter dem Einfluß des Reformators Martin Luther und späterhin dann in seinem Geiste verwandte die evangelische Kirche ihre ganze Kraft auf die Reinhaltung der neuen Lehre. “So kamen die Juden für die evangelische Theologie nur als Bekehrungsobjekte in Betracht.”
Anweisungen an Juden, sich christliche Predigten zum Zwecke der Bekehrung anzuhören, hat es in vielen deutschen Territorien gegeben, aber seit dem 17. Jahrhundert geschah dies nirgendwo in einer so konzertierten Aktion zwischen kirchlichen und weltlichen Organen wie im hessischen Raum.
Aus christlicher Sicht ergab sich die Judenmission aus dem Ursprung der Kirche in apostolischer Zeit: Was die (jüdischen) Apostel den Heiden verkündet hatten, das waren die Christen jetzt den Juden schuldig. Das galt auch noch für das Jahrhundert der Aufklärung, in dem Titel wie “Das schwer zu bekehrende Judentum” oder “Judaeus Conversus” die Bekehrungsabsicht deutlich machten. In der jüdischen Taufverweigerung sah man allgemein satanische Kräfte am Werk. Das jüdische Festhalten am eigenen Glauben schien nur durch obrigkeitliche Unterstützung überwindbar. Die Vornahme der Taufe gegen den ausdrücklichen Protest der Betroffenen widersprach zwar schon seit dem Mittelalter den kirchenrechtlichen Bestimmungen, wohl aber war es erlaubt, Unwillige zum Anhören von Predigten und zur Hinnahme von anderen Arten religiöser Belehrung zu zwingen.
Dem allgemeinen Unverständnis gegenüber jüdischer Frömmigkeit und der Zurückweisung der Taufe verlieh dann Nikolaus Lenau im vergangenen Jahrhundert in seinem Gedicht “Der arme Jude” Ausdruck, allerdings bestimmt von Trauer und Mitgefühl:

Jude, wolle dich bekehren!
Dir vom ganzen alten Bunde
Blieb dies Bündlein nur zur Stunde,
Dich zu schützen, dich zu nähren.
Laß dich taufen und verwandeln.
Mancher tat’s, und mit vier Rossen,
Hornklang kommt er nun geschossen,
Der einst umrief: Nichts zu handeln?

Landgraf Philipp, “der Großmütige”, hatte 1543 in einer Erläuterung zur Judenordnung von 1539 bestimmt, daß die hessischen “Juden samt ihren Weibern und Kindern, so über 8 Jahre alt”, zu den zu ihrer Bekehrung verordneten Predigten gehen und “das Wort Gottes fleißig hören”. Bei Versäumnis mußten die Pfarrer bei den jeweiligen Amtsleuten Meldung erstatten, damit diese für die Einhaltung der diesbezüglichen Anweisung sorgen konnten. Außerdem sollten die Pfarrer und ihre Helfer “der Juden Bücher besichtigen” und die Schriften, die “wider unseren Glauben” sind, “von Stund an verbrennen”. Pfarrern, die des Hebräischen nicht mächtig waren, wurde aufgegeben, die entsprechenden Bücher zur Begutachtung nach Marburg zu schicken.
Die Verkündigung von Gottes Wort in der Synagoge sollte nach der Judenordnung von 1539 zwar noch geduldet werden, aber nur dort, wo bereits jüdische Gotteshäuser existierten. Die Juden sollten “geloben und versprechen, nirgends neue Synagogen aufzurichten”. Den Juden war es fortan nicht nur verboten, “Lästerungen wider Christum unsern Herrn und seine Religion zu treiben”, sondern überhaupt mit Christen über das Thema Religion zu diskutieren - außer mit den dazu eigens ausgewählten und beauftragten Pfarrern, denen zugleich ein Predigtauftrag gegeben wurde.

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Disputation zwischen christlichen und jüdischen Theologen über das richtige Glaubensverständnis, Holzschnitt aus dem 16. Jahrhundert
     
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