Die 
  allgemeinen Voraussetzungen für den Wahlerfolg der Antisemiten
  Werner durchzog systematisch den Wahlkreis und hielt in den meisten Gemeinden 
  Versammlungen ab. Seine Agitation vermochte die latente Spannung zwischen Bauern 
  und kleinen Handwerkern einerseits und den jüdischen Händlern und 
  Geldverleihern andererseits zu aktualisieren. Die allgemeine Abneigung gegen 
  die Juden nutzten die Antisemiten aus, indem sie alle Interessen dieser Abneigung 
  unterordneten; die jüdische Minderheit (1895 = 1,6% der Bevölkerung 
  des Landkreises Hersfeld, % des LK Rotenburg, % des LK Hünfeld) aber konnte 
  bei ihrer geringen zahlenmäßigen Stärke keinen Einfluß 
  auf den Ausgang der Wahlen ausüben. Begünstigt wurde Werners Agitation 
  durch die allgemeine landwirtschaftliche Krise: Verschuldung, ungünstige 
  Betriebsstruktur, schlechte Ernteaussichten, niedrige Preise. "Ganz unverkennbar, 
  daß in der Bevölkerung eine allgemeine Mißstimmung herrscht", 
  meldete der Hersfelder Landrat in seinem Vierteljahresbericht an den Regierungspräsidenten 
  vom 30. 8. 1893. Verantwortlich dafür machte der Landrat "die allgemeinen 
  Zustände, wie sie sich unter dem Einfluß der sogenannten liberalen 
  Ära und den Folgen der Gesetzgebung jener Zeit entwickelt haben". 
  Vor allem jene Bevölkerungsteile, die sich im neuen Reich nicht mehr bzw. 
  noch nicht zu Hause fühlten, ließen sich durch die antisemitische 
  Agitation ansprechen. "Es waren vorkapitalistische Schichten, die ihre 
  gesellschaftliche Stellung und kulturelle Tradition bedroht sahen.", wie 
  W. Massing (1959, S. 8) formuliert. Dazu zählten in erster Linie die Handwerker, 
  kleine Unternehmer, mittlere Beamte, Angestellte und vor allem die kleinen und 
  mittleren Bauern, also der ökonomisch schlechter gestellte Teil des Mittelstandes. 
  Das ausweglose Kleinbürgertum flüchtet vor der sachlichen Interpretation 
  der wirtschaftlichen Entwicklung, die ihm ungünstig ist, in eine Scheininterpretation, 
  die ihm Erfolg verspricht, indem sie ihm erlaubt, statt des abstrakten Kapitals 
  den konkreten Juden anzugreifen", wie es Eva Reichmann in ihrem Buch Flucht 
  in den Haß (1956, S. 69) formuliert. In den Juden glaubte man aber nicht 
  nur die Ursache für die Bedrohung seiner sozialen Sicherheit und seines 
  sozialen Status, sondern auch für die Bedrohung von Staat und Gesellschaft 
  gefunden zu haben. Dieses Bild "des Juden" hatte mit seiner tatsächlichen 
  Rolle in der Gesellschaft kaum etwas gemein, sondern kam einem Mythos gleich.