Die
sozialistischen Parteien konnten 1932 gegenüber der Reichstagswahl 1920
ihre absoluten Wählerzahlen annähernd behaupten; der Vormarsch der
NSDAP vollzog sich über die Trümmer der bürgerlich-konservativen
und vor allem der bürgerlich-liberalen Parteien.
Die nebenstehende graphische Darstellung mit den Veränderungen ab 1928
soll diesen Prozeß noch einmal verdeutlichen. Um den für den Erfolg
der NSDAP wichtigen Aspekt der Neuwählermobilisierung zu berücksichtigen,
wurden die Wahlergebnisse in Bezug zur Gesamtzahl der Wahlberechtigten gesetzt.
Die graphische Darstellung veranschaulicht auch die relative Stabilität
des Wählerblocks, der die Arbeiterparteien in der Spätphase der Weimarer
Republik unterstützte.
Obwohl die allgemeine wirtschaftliche Krise in der Spätphase der Weimarer
Republik im Landkreis Hersfeld vergleichsweise abgeschwächt verlief, schlug
die generelle politische Radikalisierung auch hier durch. Die permanente Wanderung
der bürgerlich-bäuerlichen Mittelschichten zur politischen Rechten,
wie sie v. a. von H. A. Winkler als Charakteristikum der politischen Entwicklung
seit Beginn der Weimarer Republik gesehen wird, fand auch im lokalen Bereich
statt. Die Abwanderungsraten des bürgerlichen Lagers bewegten sich in dem
auch für andere Gebiete, insbesondere Nordhessens, festgestellten Rahmen.Die
Anfälligkeit des nicht-sozialistischen Teils der Wählerschaft des
Kreises Hersfeld zunächst der völkischen Bewegung, dann dem Nationalsozialismus
gegenüber wurde durch das über zwei Jahrzehnte währende erfolgreiche
Wirken der Antisemiten im Kaiserreich begünstigt. Bei der Betrachtung des
aufkommenden Nationalsozialismus konnte gezeigt werden, daß das völkische
und antisemitische Gedankengut der Nationalsozialisten einen wohlpräparierten
Boden vorfand. In einer Zeit des wirtschaftlichen Niedergangs nach einer relativen
Stabilisierung von knapp vier Jahren artikulierte die NSDAP seit 1929 mit einer
irrationale Sentiments ansprechenden permanenten Agitation die Tendenzen, die
bei der Mehrheit latent vorhanden waren, seitdem die negative ökonomische
Entwicklung den republikanischen Parteien die Grundlagen für eine Verstärkung
ihres Einflusses genommen hatte: Antikapitalismus unter konservativen Vorzeichen
und - damit verbunden - Antisemitismus, Antiparlamentarismus, Nationalismus
und Protektionismus für Landwirtschaft und Kleinhandwerk. Die Unzufriedenheit
breiter Schichten mit der konkreten wirtschaftlichen und politischen Situation
wurde von den Nationalsozialisten durch hemmungslose Demagogie aufgeputscht
und gegen die bestehende Staatsordnung gelenkt. Die Übernahme radikaler
Vorstellungen durch die traditionellen bürgerlichen (Rechts-)Parteien konnte
den Wählerstrom zur NSDAP nicht aufhalten, sondern wirkte eher beschleunigend
auf diesen Prozeß. Die politische Argumentation und Agitation der traditionellen
bürgerlich-konservativen und bürgerlich-liberalen Kräfte sowie
der sich neu bildenden Interessengruppierungen verstärkte bei dem überwiegenden
Teil der nicht-sozialistischen Wählerschaft die Vorstellungen von der Notwendigkeit
einer radikalen Wende, die man aber nur der NSDAP zutraute.
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