Quellenmäßig dokumentieren lässt sich jüdisches Leben in der Stadt Rotenburg ab beginnendem 15. Jahrhundert. Am 3. Juni 1414 stellt Landgraf Ludwig I. dem aus Frankfurt mit seiner Frau Zara zugezogenen Juden Meyer einen Schutzbrief aus. Dieser lautet (in heutiger Schreibweise):
„Wir, Ludwig von Gottes Gnaden Landgraf von Hessen, bekennen für uns und unsere Erben öffentlich in diesem Brief, dass wir Meyer von Frankfurt, den Juden, und Zara, seine Hausfrau, sowie ihre Kinder und Gesinde verteidigen und schützen gleich unseren anderen in unserem Fürstentum wohnenden Juden; und soll uns derselbe Meyer dafür das Jahr den Zins geben auf St. Michaels Tag, drei gute rheinische Gulden."


Der Schutzbrief für den Juden Meyer in Rotenburg ist zugleich das älteste überlieferte hessische Dokument dieser Art überhaupt, aufbewahrt als Kopie aus dem späten 15. Jahrhundert im Staatsarchiv Marburg. Die Ansiedlung des Juden Meyer mit seiner Frau Zara in Rotenburg war Teil einer landesweiten Aktion, die das Ziel verfolgte, die Finanzen des Landes in Ordnung zu bringen; dies war der vormundschaftlichen Regierung der Landgrafschaft Hessen – Landgraf Ludwig I. war zum Zeitpunkt seiner Inthronisierung 1414 erst 12 Jahre alt – wichtiger als Erfolge im Territorialstreit mit den Nachbarstaaten. In einer in den 1930er Jahren verfassten Abhandlung zur Rotenburger Geschichte muß Landgraf Ludwig einen strengen Tadel wegen seines „judenfreundlichen“ Gebarens einstecken, das angeblich „in der Stadt später oft große Verbitterung hervorrief“.



FAKSIMILE DES SCHUTZBRIEFES von Levi Levi 1708
Der Schutzbrief war für die Juden die wichtigste Urkunde. Das weist auch deren spätere Gestaltung als Druckwerk mit schöner ornamentaler Schrift aus, wie es die beiden für Rotenburg überlieferten Originaldokumente von Judenschutzbriefen zeigen. FAKSIMILE DES SCHUTZBRIEFES von Levi Levi 1708. Die Übertragung des Judenschutzes durch den Kaiser auf die Landesherren und die damit verbundenen Einnahmen förderten weitere jüdische Niederlassungen - ungeachtet der Beschränkungen, die Juden bei der Berufsausübung lange Zeit auferlegt waren. Der Handel mit Stoffen, Kleidung und Vieh blieb außer der Pfandleihe und dem Geldverleih gegen Zinszahlung (= „Wucher“) bis zum 19. Jahrhundert die einzig zugelassene Erwerbsquelle.

1622 erhielt David Levi – eine tendenziöse 1848er Rotenburger Quelle spricht von ihm als dem ersten Rotenburger Juden überhaupt – gegen jährliche Zahlung von zehn Gulden hier das Wohnrecht. „Im geheim wurde aber noch verabredet: dass der Jude dem Bürgermeister, wenn er auswärts zu tun hat, ein Reitpferd stellen und sonst die Abtritte des Rathauses fegen müsse.“
V
on 1622 an datiert kontinuierliches jüdisches Leben in Stadt und Amt Rotenburg. Wesentlich gefördert wurde dies durch die Rotenburger Quartfürsten, die – stets knapp bei Kasse – ein reges Interesse an guten Steuerzahlern hatten. In der landgräflichen Region „Fuldastrom“ wird Rotenburg so zum Zentrum jüdischen Lebens für mehr als drei Jahrhunderte.


Die Tabelle weist Rotenburg im Jahre 1861 als fünftgrößte jüdische Gemeinde im Kurfürstentum Hessen aus.

Zu antijüdischen Ausschreitungen kam es in Rotenburg schon lange vor der Kristallnacht und auch schon über ein Jahrhundert vor der Naziherrschaft. In der ersten Oktoberhälfte 1819 zeigten sich an mehreren Orten Kurhessens Spuren antijüdischer Umtriebe, die einen allgemeinen Ausbruch der Judenverfolgung zu einem heimlich verabredeten Termin befürchten ließen. Ein Kaufmann aus Rotenburg erzählte im thüringischen Vacha, am 18. Oktober 1819, dem Jahrestag der Niederlage Napoleons, sollten die Juden geplündert und verjagt werden. Tatsächlich fand man in Rotenburg um den 10. Oktober 1819 am Rathaus eine "Bekanntmachung" angeschlagen, die den Juden eine "Galgenfrist" (von acht Tagen?) zum Verlassen der Stadt setzte. Auf heimlich ausgestreuten Zetteln war zu lesen:


„Den 18ten October wird hep, hep! gegeben, der Schauplatz ist in allen Straßen."


Zum 50. Geburtstag von Adolf Hitler am 20.4.1939 erstrahlte die Stadt Rotenburg im Fahnenschmuck. Besonders prächtig geschmückt das Rathaus - mit großem Hitlerportrait.


In Jerusalem-Yad Vashem erscheint auch der Name Rotenburg unter den Orten mit ehemaligen jüdischen Gemeinden.


Im November 1998 - anlässlich der 750-Jahrfeier der Stadt Rotenburg - gestaltete die Arbeitsgruppe Spurensuche eine jüdische Woche in deren Mittelpunkt eine Ausstellung "Spurenlos? 600 Jahre jüdisches Leben in Rotenburg" stand.

| Seite 2 | Seite 3 |