Anderthalb Jahrhunderte nach dem mißlungenen Versuch, die Juden zur Aufgabe ihres Judeseins zu zwingen, findet dieses Thema mit Bezug auf Rotenburg wieder Eingang in die überlieferten Akten. Diesmal allerdings inhaltlich mit umgekehrtem Vorzeichen. Nicht um aktive Bekehrung geht es in den Aktenstücken der Jahre 1801 und 1803, sondern um die Begutachtung und Gestattung von Taufgesuchen jüdischer Antragsteller. Aufgrund ihrer ungebrochenen religiösen Tradition und der engen Einbindung in ihre - außerhalb ihrer Handelsgeschäfte - isolierte Gemeinschaft war die jüdische Minderheit bis zu Beginn des 18. Jahrhunderts gegenüber nahezu allen religiösen und weltanschaulichen Anfechtungen von außerhalb weitgehend abgeschottet. Im Laufe des 18. Jahrhunderts, unter dem Einfluß der Aufklärung, lockerten sich dann aber ganz allmählich die engen innerjüdischen Bindungen. Dies ermöglichte dann vereinzelt ein individuelles Ausscheren aus dem festgefügten Glaubens- und Lebensverband und schuf zugleich die Voraussetzung für Konversionen zum christlichen Glauben, mochten es auch nur in wenigen Fällen religiöse Gründe sein, sondern eher die “Folge der materiellen Not oder des Anreizes, ein Teil der christlichen Gesellschaft zu werden”. Dessen waren sich wohl auch die Adressaten der 1801 und 1803 in Rotenburg bzw. Kassel eingereichten Konversionsbegehren bewußt. Besonders galt dies wohl für die “demütigst” vorgetragene Bitte des Judenmädchen Beyer, sich “taufen lassen zu dürfen”. Das Judenmädchen war nach eigenem Bekunden mit dem im “Regiment Prinz Carl stehenden Pfeifer Rundnagel bekannt” und von ihm “geschwängert worden”. Dadurch war sie religiös und gesellschaftlich in eine äußerste Notlage geraten, wie sie in ihrer Eingabe an den Landesherrn vom 26.10.1801 darlegte: “Ich bin jetzt weder Jud noch Christ, kann auch zu der ersteren Religion nicht wieder zurückkehren.” Was eine Schwangerschaft in damaliger Zeit für eine Frau bedeutete, wird durch die zusätzlich gegebene Begründung ihres Taufwunsches veranschaulicht: “... da ich bei meiner jetzigen Schwangerschaft bereits mit einem Fuß im Grabe stehe.” Den Gedanken, sich taufen zu lassen, behauptete die junge Jüdin, habe sie schon vor ihrem “Fall” in sich getragen. War dies mehr als eine Schutzbehauptung? Die Skepsis bezüglich der Motive des Religionswechsels, wie sie in dem Vorgang zu verzeichnen ist, der sich zwei Jahre später abspielte, läßt es als eher unwahrscheinlich gelten, daß dem Taufgesuch des schwangeren Judenmädchens stattgegeben wurde.

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Das Regiment "Prinz Carl", dem der Regimentspfeifer Rundnagel angehörte, war in der Garnison Hersfeld stationiert
 
     
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