1717 war Hersfeld der Ort, an dem sich - laut Catalogue Academie Marburgensis, Professoren, Nr. 628 ein Rabbiner aus Amsterdam namens Levi auf den Namen Wilhelm Gottfried taufen ließ. Er wurde am 5. November 1717 zum Lektor der hebräischen Sprache an der Universität Marburg bestellt, nach drei Monaten aber bereits wieder entlassen ("wegen Unfähigkeit"). Über den Täufling und den Taufakt in Hersfeld wissen wir nichts Genaues, wohl aber über den Geistlichen, der die Taufe vornahm. Es war der Doktor der Theologie Conrad Mell, Direktor des Hersfelder Gymnasiums und gleichzeitig Inspekteur der Theologie zu Hersfeld. Die Lektüre seiner gedruckten "Kommunionspredigten" veranschaulicht das Ausmaß antijudaistischer Polemik in der kirchlichen Verkündigung. In seiner Predigt über Matthäus 27,Vers 25 (Das ganze Volk aber antwortete: Sein Blut komme über uns und unsre Kinder) lesen wir:
"... Das Blut des gerechten JESU kam auch über ihre Kinder: Da sie die in die ganze Welt zerstreuet wurden und noch auf den heutigen Tag vor unseren Augen gehen als ein verfolgtes, gedrücktes und verfluchtes Volk, das nunmehr über siebenzehnhundert Jahr in seinen langwierigen Elend herumgehet zum täglichen Spektakel und Beweis, daß es schrecklich sei zu fallen in die Hände des lebendigen Gottes. Es melden einige von den bekehrten Juden, welches auch viele von den Unbekehrten bekennen, daß die Juden noch bis auf den heutigen Tag geplaget werden mit einer gewissen Blut-Plage: Da zu gewissen Zeiten des Jahres feuchte blutige Flecken ausschlagen in ihren Häusern und an ihren Leibern, welche zuweilen auch gar in der Speise und Milch gesehen werden. Fragt man sie woher es komme, entschuldigen sich einige mit der Unwissenheit. Andere sagen, es sei das Blut Abels. Wann es so ist, daß diese Blut-Plage durchgehends sich findet und bei den bekehrten Juden aufhöret: so scheint es wohl eine Strafe des gerechten Gottes zu sein und eine jährige Erfüllung dessen, was sie selbst gesprochen: Sein Blut komme über uns und unsere Kinder ..." Gegen die jüdische Miderheit gerichteter Aberglaube wurde hier theologisch untermauert und verbrämt. Mells Predigt steht in der Kontinuität der Vorstellung von den Juden als den Gottesmördern, die vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert reicht. Als Inspekteur der Theologie war Mell für die "richtige" Verkündigung der christlichen Lehre im Raum Hersfeld verantwortlich, so daß wir davon ausgehen können, daß den hier lebenden Menschen bei ihrem Gottesdienstbesuch ein Bild von den Juden vermittelt wurde, das nichjt gerade förderlich für ein friedliches und geheihliches Nebeneinander, geschweige Miteinander war.

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Stadtkirche Hersfeld, Lithographie (1852)
 
 
Dr. Conrad Mell (1666-1733)
     
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