Die Deutschsoziale Reformpartei hatte auf ihrem Erfurter Parteitag 1895 ein neues Programm angenommen, in dem die Besorgnis artikuliert wurde über die "fortschreitende Zersetzung aller gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ordnung". Den "alten Parteien" wurde vorgeworfen, dass sie den durch einen "falschen wirtschaftlichen Liberalismus "hervorgerufenen Zuständen "ohne Verständnis und darum ratlos" gegenüberstanden. Die Deutschsoziale Reformpartei dagegen kündigte dem "kapitalistischen Faustrecht" den Kampf an, und zwar über die Ausschaltung der Träger der Zersetzung des "stammfremde(n) Judenvolk(es) das in unserem wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Leben, in der Rechtspflege und in der Presse unserem Volkstum seinen zersetzenden Geist aufgedrängt und damit den Anlaß zu der antisemitischen Strömung gegeben hat. Deutschen Geist und deutsche Eigenart wollen wir bewahren vor jedem schädlichen Fremdstoff, deutsche Arbeit schützen gegen Ausnützung und Ausbeutung. Darum erscheint uns der Kampf gegen den jüdischen Geist, gegen die wachsende Verjudung auf allen Gebieten des Lebens als eine wirtschaftliche, politische und sittliche Notwendigkeit." Auch die ursprünglich scharf ablehnende Haltung der staatlichen Stellen gegenüber den Antisemiten änderte sich, nachdem man erkannt hatte, dass die antisemitischen Vereinigungen in den Kampf gegen die Sozialdemokratie wirksam eingesetzt werden konnten; dieser Meinungswandel trifft besonders auf den Kasseler Regierungspräsidenten zu, der die Antisemiten mit den Sozialisten zunächst auf eine Stufe gestellt hatte.
Die Wandlung der einflußreicheren Kreise gegenüber Werner spiegelte sich auch in der Art wider, in der die lokale Presse antisemitische Versammlungen behandelte. Seit 1896 bemühte sich die Hersfelder Zeitung um eine “objektive” Berichterstattung über Werners Auftreten, während die Versammlungsberichte des Jahres 1893 durchweg mit negativen Attributen versehen waren: "Es wird ... wenig interessieren, die volksbeglückenden Ideen des Wanderredners zu erfahren. Hoffentlich ist dem Kandidaten der Antisemitenpartei klar geworden, daß er in unserer Gegend keinen Boden für sein Streben und seine Ziele findet", hieß es z. B. in dem Bericht der Hersfelder Zeitung vom 9. 5. 1893. Ebenso wie den Sozialdemokraten waren den Antisemiten 1893 in einer Reihe von Gemeinden die Versammlungssäle verweigert worden.
Das widersprüchliche Verhalten Werners in der Frage der Heeresvorlage im Jahr 1893 wiederholte sich 1898 auf einem anderen Gebiet. Im offiziellen Wahlaufruf der Deutschsozialen Reformpartei fanden sich die alten Forderungen der Antisemiten nach Aufhebung der Gleichberechtigung der Juden und ihrem Ausschluss aus amtlichen und einflussreichen Stellungen. In Wahlversammlungen jedoch verwahrte sich Werner dagegen, als Antisemit bezeichnet zu werden, und rechnete sich und seine Partei den "Ordnungsparteien" zu. "Wie's trifft, bald so, oder so, je nach dem anwesenden Publikum wird das Rezept verordnet", bemerkte das sozialdemokratische Volksblatt vom 8. 6. 1898.
Auch David Peal sieht Werners Zurücknahme seiner populistisch-antisemitischen Agitation als taktisches Manöver, und zwar gegenüber den Konservativen. Nachdem diese 1892 den Antisemitismus zum Bestandteil ihres Parteiprogrammes gemacht hatten, habe das dezidierte Eintreten für staatsinterventionistische Politik zugunsten des Mittelstandes das Ziel verfolgt, sich von den Konservativen und Deutsch-Sozialen abzugrenzen.
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Aufkleber aus dem Jahr 1896
 
     
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