Für
den Wahlkampf 1898 teilten die Antisemiten den Reichstagswahlkreis in einzelne
Bezirke ein und ernannten für jeden Bezirk einen Obmann. In Hersfeld organisierte
der Gastwirt B. Bolender die Versammlungen Werners. Mit Hilfe des Bundes der
Landwirte wurde Werner 1898 bereits im ersten Wahlgang in den Reichstag gewählt.
Der eine Woche vor der Wahl nominierte Gegenkandidat des "Vereinigten konservativen,
nationalliberalen und freisinnigen Wahlkomitees", der Hersfelder Steuerinspektor
Schmeißer (NLP), den der Landwirtebund im Gegensatz zu seinem Verhalten
in den anderen kurhessischen Bezirken nicht unterstützte, erhielt im Wahlkreis
mit 1.226 Stimmen nur 28,4% des antisemitischen Stimmenanteils (4.317 Stimmen).
Im Landkreis Hersfeld war dieses Verhältnis für das "Vereinigte
Wahlkomitee" etwas günstiger: Den 1.884 antisemitischen Wählern
standen 701 nationalliberale-Wähler gegenüber. In der Stadt Hersfeld
lautete das entsprechende Verhältnis 322 : 250. Von einem Unterschied in
der Stimmabgabe innerhalb des Kreisgebietes kann jetzt nicht mehr gesprochen
werden. Der Antisemitismus war im Landkreis Hersfeld durch Werners geschicktes
Taktieren und die Unterstützung des BdL hoffähig geworden. Die Unterstützung
der Antisemiten durch den Bund der Landwirte, des mächtigsten Verbandes
des Kaiserreiches, kann dann nicht überraschen, wenn man sich die Nähe
seiner Ideologie (völkischer Nationalismus und rassischer Antisemitismus)
zu den antisemitischen Vorstellungen vergegenwärtigt. Obwohl der Antisemitismus
beim BdL zu keiner Zeit den zentralen Erklärungsschlüssel für
die wirtschaftlichen und politischen Probleme abgab, wurde er doch als Mittel
der Agitation taktisch eingesetzt. Bei dem Bemühen des BdL nach der Jahrhundertwende
um Resonanz über die bäuerlich-ländliche Bevölkerungsgruppe
hinaus "entwickelte sich der Antisemitismus zum integralen Bestandteil
der agrarischen und konservativen Politik". Wieweit der Antisemit Werner
seine Anhängerschaft und Wählerbasis bei den gesellschaftlich herrschenden
Schichten im Raum Hersfeld seit 1893 hatte ausdehnen können, zeigte schon
sein Abschneiden bei der Landtagsnachwahl im November 1896, die infolge des
Rücktritts des konservativen Abgeordneten Seyffarth notwendig geworden
war. Werner fehlten 1896 lediglich 5 Wahlmännerstimmen zum Sieg über
den gemeinsamen Kandidaten der "Ordnungsparteien" (Konservative und
Nationalliberale), den konservativen Gutsbesitzer Isenburg, Ronshausen (zugleich
Vorsitzender des Landwirtschaftlichen Kreisvereins Rotenburg). Bei der Landtagswahl
am 31. 10. 1893 war Werner im Landtagswahlkreis Hersfeld-Rotenburg noch deutlich
mit 63 gegen 156 Wahlmännerstimmen dem Kandidaten der Kartellparteien unterlegen.
Bei der Landtagswahl am 3. November 1898 schaffte Werner dann als erster und
einziger antisemitischer Abgeordneter den Einzug in den Preußischen Landtag.
Mit 155 von 222 Wahlmännerstimmen siegte er im Landtagswahlkreis Hersfeld-Rotenburg
geradezu unangefochten über den Kandidaten der Kartellparteien Schmeißer,
den er schon bei der fünf Monate vorher stattgefundenen Reichstagswahl
weit hinter sich gelassen hatte. Mehr noch als das Ergebnis der Reichstagswahl
zeigte Werners Erfolg bei den nach dem Dreiklassenwahlrecht durchgeführten
Landtagswahlen seine Resonanz und politische Verankerung in den ökonomisch
und gesellschaftlich etablierten und dominierenden Schichten im Raum Hersfeld-Rotenburg
zum Ausgang des 19. Jahrhunderts. Die Entwicklung der Wählerzahlen bei
den Reichstagswahlen ab 1890 ist für die Ebene des Wahlkreises in der Grafik
oben erfasst, für den Landkreis Hersfeld in der Grafik unten.
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Wahlkreis
Hersfeld-Hünfeld-Rotenburg Reichstagswahlen 1867 - 1912 (Klick
- Details) |
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Landkreis
Hersfeld Reichstagswahlen 1890 - 1912 (Klick - Details) |
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