Der
Wahlkampf für die Reichstagswahl 1907
Für die Reichstagswahl 1907 sicherte sich der Wahlkreisvorsitzende des
Bundes der Landwirte, Gutsbesitzer Franz von Bodelschwingh, Schwarzenhasel,
Kreis Rotenburg, die Unterstützung des Konservativen Vereins Kurhessen
für seine Kandidatur gegen den Antisemiten Werner. Mit 60 gegen 7 Stimmen
wurde v. Bodelschwingh am 6. 1.1907 in einer Wahlkreisversammlung in Bebra von
den Konservativen als Kandidat aufgestellt. Den wichtigsten Grund für die
Ablehnung Werners sahen die Konservativen in dem "radikal freiheitlichen
Standpunkt der Reformpartei in den politischen und kulturellen Fragen"
und insbesondere in dem antiklerikalen Gebaren der Hessischen Rundschau, die
von Werner angeblich unterstützt worden war, der aber eine enge Verbindung
mit diesem Blatt des Reformpartei-Mitgliedes Harmony energisch bestritt. Werner
verstand es, wie bereits vier Jahre zuvor, die ablehnende Haltung der BdL-Wahlkreisführung
dadurch zu entkräften, dass er einen Keil zwischen die Bundesleitung des
Wahlkreises und die Mitglieder zu treiben vermochte und sich im übrigen
auf günstige Urteile über ihn von seiten des Berliner BdL-Vorstandes
berufen konnte: "Es ist uns sehr bekannt, daß Werner bei allen wichtigen
Entscheidungen im Reichstag stets im Sinne des BdL gestimmt hat." Für
eine kleine Partei wie die Deutschsoziale Reformpartei stellte sich sehr bald
die Frage nach dem Vorrang von Prinzipientreue (im Hinblick auf ihren radikalen
Antisemitismus) und dem unmittelbaren Interesse ihrer Reichstagskandidaten,
eine Mehrheit in den Wahlkreisen hinter sich zu bringen. Dafür aber waren
in der Regel nachweisbare Erfolge in Berlin notwendig, zumindest aber hilfreich;
und dies wiederum konnte nur in Kooperation mit größeren parlamentarischen
Gruppen gelingen. Diejenigen antisemitischen Abgeordneten, die sich nicht der
vom BdL initiierten "Wirtschaftlichen Vereinigung" von 1903 anschlossen,
gingen 1907 mit den Freikonservativen eine Fraktionsgemeinschaft ein; dazu gehörte
neben den oberhessischen antisemitischen "Reformern" Oswald Zimmermann
und Fritz Bindewald der kurhessiche "Reformer" Ludwig Werner. Diese
Reichstagsabgeordneten hatten nach dem Magdeburger Parteitag der Deutschsozialen
Reformpartei im September 1900, der mehrheitlich von dem konservativen Parteiflügel
um Liebermann von Sonnenberg beherrscht wurde, eine eigene Partei gegründet
(zunächst mit Weiterführung des alten Namens, 1903 dann Umbenennung
in Deutsche Reformpartei). Im Gegensatz zu ihren oberhessischen "reformerischen"
Mitstreitern Zimmermann und Bindewald blieben die kurhessichen "Reformer"
um Ludwig Werner aber in engem Kontakt und parteistrategischer Kooperation mit
den stärker konservativ ausgerichteten Deutsch-Sozialen, denen sich 1907
fünf der sechs antisemitischen Abgeordneten aus Kurhessen zurechneten.
Nur Ludwig Werner vertrat in Kurhessen ab 1907 die "reine" Antisemitenpartei,
die Deutsche Reformpartei, sicherlich ein Nachweis seiner partei- und koalitionstaktischen
Fähigkeiten.
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