Werner
war 1907 nicht unbedingt auf die Unterstützung der Bauernorganisation angewiesen,
denn maßgebliche Vertreter des gewerblichen Mittelstandes, der Lehrerschaft,
der Beamten und der Hersfelder Industrie sprachen sich in Wahlaufrufen mehrfach
für ihn aus. Als besonderen Wahlschlager bot Werner das Versprechen, den
Bau von Eisenbahnen im Wahlkreis betreiben zu wollen. Die Frage der Bewilligung
der Mittel des Militäretats in der von der Regierung gewünschten Höhe,
die zur Reichstagsauflösung geführt hatte, war im Wahlkreis ebensowenig
Streitobjekt zwischen den beiden aussichtsreichsten Kandidaten wie die früher
hoch aktuellen Probleme von Zolltarif und Handelsverträgen, die mit dem
unverkennbaren Aufschwung der deutschen Gesamtwirtschaft als erledigt betrachtet
wurden. In ihrer positiven Einstellung zur Regierungspolitik gab es kaum Unterschiede
zwischen von Bodelschwingh und Werner. Die Alternative, die von Bodelschwingh
gegen Werner anzubieten hatte, war zudem für die Wähler dadurch schwer
erkennbar, dass er ebenso wie sein antisemitischer Konkurrent im Gegensatz zu
den Konservativen bzw. Kartellkandidaten der Jahre 1893, 1898 und 1903 sich
eindeutig zum Antisemitismus bekannte. Außerdem kündigte von Bodelschwingh
schon in einem frühen Stadium des Wahlkampfes an, die Konservativen würden
in einer eventuellen Stichwahl für Werner stimmen. Mit Ludwig Werner politisch
liiert war Franz von Bodelschwingh unter anderem über das gemeinschaftliche
Wirken im Stoßtrupp völkisch-imperialistischer Zielsetzungen, dem
Alldeutschen Verband (ADV), dem Werner mit weiteren 28 Abgeordneten des Deutschen
Reichstags (1911) angehörte. Der ADV warb mit Parolen wie: "... nach
Osten und Südosten hin müssen wir Ellbogenraum gewinnen, um der germanischen
Rasse diejenigen Lebensbedingungen zu sichern, deren sie zur vollen Entwicklung
ihrer Kräfte bedarf". Franz von Bodelschwingh war (1917) Mitglied
der Reichsführung des ADV, ebenso Ludwig Werner, der zu den Mitbegründern
des ADV gehörte. In der Wahlkampfführung setzte sich 1907eine liberale
Tendenz durch: Das Beispiel von Bodelschwinghs veranlasste Werner, in seinen
Versammlungen kontroverse Diskussionen zuzulassen. Vorher waren in den meisten
antisemitischen Versammlungen Gegner von der Diskussion, wenn nicht gar von
der Teilnahme überhaupt ausgeschlossen.
|
|
28 |
|
|
Maßgebliche
Vertreter des gewerblichen Mittelstandes, der Lehrerschaft, der Beamten
und der Hersfelder Industrie sprachen sich 1907 für den Antisemiten
Ludwig Werner aus. |
|
|