Als
Einzelperson war es Walther Rathenau (DDP), dem der geballte Zorn der evangelischen
Sonntagspresse galt. Für das Kasseler Sonntagsblatt (5.6.1921) war der
Ende Mai 1921 als Wiederaufbauminister berufene AEG-Chef Rathenau der typische
Vertreter des seelenlosen jüdischen Kapitalismus, der wie Feuer und Wasser
der deutschen Arbeit und deutschen persönlichen Schaffens gegenüber
steht. Dessen Pläne bedeuteten die Stärkung des jüdischen
Kapitals zum Schaden der deutschen Eigenart und des deutschen Mittelstandes.
Daß neben Rathenau drei weitere Minister Juden waren, fordert das Blatt
zu harter Kritik heraus. Überall müsse dieser Tatbestand bekannt werden,
damit das deutsche Volk weiß, von wem es regiert wird und ob es
sich diese jüdische Geistesherrschaft ( ... ) gefallen lassen will.
Kommentar des Kasseler Sonntagsblatts (12.2.1922) zur Ernennung Rathenaus zum
Außenminister: ein Armutszeugnis für das 65 Millionenvolk,
daß ein Jude nun gar das Ministerium des Äußeren innehat.
Für Dekan Lehr, der regelmäßig eigene Beiträge publizierte,
waren sechs Jahre später die Straßenbezeichnungen Rathenau-Ufer
und Erzberger-Ufer, auf die er bei einer Rheinreise gestoßen
war, der Anlaß zu einer wüsten Polemik gegen den republikanischen
Staat und das Regiment des internationalen Juden. Seine Schlußsätze
im Sonntagsblatt am 8.April 1928: Leider schleiften in den letzten Zeiten
des Kaisertums die Zügel am Boden, sonst hätte man einen Erzberger
und Rathenau vor das Kriegsgericht gestellt, wo sie ihr gerechtes Urteil empfangen
hätten, ehe das Vaterland durch ihr unheilvolles Treiben ins Unglück
gestürzt war. Ihre Beseitigung durch Mord hat das durch sie angerichtete
Unglück nicht wieder gutgemacht. Am 15.April 1929 mußten sich
Dekan Lehr und Schriftleiter Schwarz vor dem Großen Schöffengericht
wegen Verstoßes gegen das Gesetz zum Schutz der Republik erscheinen. Dort
bekennt der Dekan in Lutherscher Manier: Ich kann auf Grund meiner langjährigen
Erfahrung nicht anders, als mich auf den Standpunkt zu stellen, den der große
Geschichtsforscher von Treitschke ausgesprochen hat: Die Juden sind unser
Unglück. Das Urteil des Kasseler Gerichts: vier Monate Gefängnis.
"Was
liegt Rathenau am Wohl und Wehe desVaterlandes? Er freut sich, wenn Kaisertum
und Vaterland zusammenbrechen."
(Dekan Lehr im
Kasseler Sonntagsblatt vom 19.2.1928)